„Brain-Drain“ Rettungsdienst?

Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.

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Widmen wir uns heute einem Thema, dass den jüngeren Rettungsdienst schon vorneweg seit zwei Jahrzehnten herumtreibt. Ein Thema, dass viele Kollegen und Führungskräfte teils mit Argwohn, teils mit offener Ablehnung behandeln – das „Brain Drain“ im Rettungsdienst.

Was ist denn das „Brain Drain“?

Unter dem Brain Drain versteht man im Allgemeinen eine Talentabwanderung – ursprünglich in andere Länder, im übertragenen Sinne aber auch in andere Bereiche.

Simpel ausgedrückt: qualifizierte Kräfte – oder gar die Hoffnungsträger des Unternehmens – verlassen es und suchen ihr berufliches Glück anderweitig.

Nun, zu einem gewissen Grad ist es als „normale“ Fluktuation des Personals zu sehen, die im Rettungsdienst traditionell schon recht hoch ist. Das, was darüber hinaus geht, kann man allerdings als regelrechten Talentschwund sehen – eben das Brain Drain.

Die Grundproblematik des Rettungsdienstes

„Gute Rettungssanitäter werden zu Notfallsanitätern – gute Notfallsanitäter werden zu Studenten“

Der erste Teil dieser überspitzten Binsenweisheit ist ja durchaus gewünscht – von Kollegen und auch von den Arbeitgebern. Wer etwas kann, soll weitermachen. Nicht umsonst ist der klassische Einstieg in den Rettungsdienst über den Rettungssanitäter und die erste Berufserfahrung so etabliert. Eigentlich ein schönes System.

Nun, der frische Notfallsanitäter mit dem 1,0er-Examen in der Tasche wird auch seinen Dienst verrichten. Und er wird ihn gut verrichten. Und viele werden irgendwann mehr wollen. Denn: wer etwas kann, soll….gefälligst bleiben und weiterarbeiten – so der O-Ton vieler Arbeitgeber im Rettungsdienst.

Wo einst die Bereitschaft zum „Weitermachen“ und „Weiterlernen“ geradezu gefordert wurde, soll hier nach der Meinung vieler aber eine Grenze sein,

Warum das Brain Drain?

Es gehen hier zwei Gründe Hand in Hand. Zum einen möchten viele, insbesonders fachlich gute bis sehr gute Notfallsanitäter, ihren Horizont erweitern, mehr lernen, mehr können, mehr dürfen. Zum anderen ist genau dies im Rettungsdienst kaum möglich.

Aus fachlicher Sicht hat man mit dem Notfallsanitäter alles erreicht, was man erreichen kann. Einen „Über-Notfallsanitäter“ kann man nicht machen. Mit anderen Worten: rein ausbildungstechnisch ist man mit dem Notfallsanitäter am Ende der Fahnenstange des Rettungsdienstes angekommen. Mit Anfang bis Mitte 20 hat man so ziemlich alles an Qualifikation erreicht, was im Sinne der Berufsausbildung möglich ist.

Gerade für diejenigen, die „mehr“ wollen ein unbefriedigender Zustand.

Natürlich – man kann den Praxisanleiter draufsetzen. Man kann auf die Leitstelle gehen. Man kann Qualifikationen für die Übernahme von Funktionsträgeraufgaben machen. Man kann alle möglichen Buchstabenkurse absolvieren. Dann wird es aber auch schon eng.

Und vor allem bedeutet das meiste davon vor allem „mehr Arbeit“, aber wenig finanzielle Honorierung und vor allem keine Kompetenzerweiterung.

Das allein verleitet schon dazu, dass sich Menschen mit dem Wunsch einer „echten“ Weiterqualifizierung in anderen Bereichen umschauen müssen – und es auch tun.

Dazu kommt dann noch die Grundsatzproblematik des Arbeitsumfelds „Rettungsdienst“. Nach einigen Jahren merken die ersten schon ihre Wehwehchen, die Tatsache, dass sie Wechselschichtdienste doch nicht über Jahrzehnte abkönnen wollen oder dass mit Zwölf-Stunden-Schichten oder Wochenendarbeit doch ganz schön die Freizeit beeinträchtigen.

Der Drang, sich beruflich zu verändern, wächst.

Wohin fließt unsere Kompetenz?

Fairerweise muss man feststellen: diejenigen, die etwas komplett anderes machen, sind doch tendenziell eher selten.

Viele bleiben fachlich im selben oder zumindest einen ähnlichen Bereich. Da haben wir zum einen diejenigen, die auf die Leitstelle wechseln oder ihr Glück bei einer Berufsfeuerwehr suchen. Dann gibt es diejenigen, die in eine Klinik wechseln.

Vor allem gibt es aber viele, die eines tun: studieren gehen. Beliebt sind vor allem auch hier „bereichsverwandte“ Studiengänge – Medizinpädagogik, Psychologie, aber auch Betriebswirtschaft und technische Studiengänge mit entsprechendem Schwerpunkt…und natürlich die Humanmedizin.

Unsere Kompetenz fließt also nicht komplett ab. Tut sie nicht. Sie verlagert sich lediglich in andere Teilbereiche.

Berechtigt oder nicht?

Im Endergebnis kommt es für den Rettungsdienst auf das Gleiche raus: „Hoffnungsträger“ verlassen den Rettungsdienst im Hauptberuf in hohem Maße, wahrscheinlich sogar mehr als die allgemeine Fluktuation erwarten ließe. Und diese Kompetenz fehlt einfach.

Gerade die „Macher“ von morgen, die es mit ihrer Fachkompetenz und ihrem Ideenreichtum bräuchte, um den Rettungsdienst nachhaltig zu reformieren – die gehen.

Persönliche Meinung

Ich kann es durchaus verstehen, dass Menschen ihre Ziele verfolgen und den Chancentod für ihre Karriere aus dem Weg gehen wollen. Und: das sollen sie auch tun!

Man wird nie eine positive Veränderung erreichen, wenn man sich durch eine Arbeit quält oder vergangenen Chancen nachtrauert. Auf lange Sicht gesehen wird man sich ärgern, Chancen nicht ergriffen zu haben. Zumindest in seinen Zwanzigern darf man auch mal ganz opportunistisch denken 😉

Es wäre allerdings schön, wenn der Rettungsdienst nicht wissentlich und willentlich für den persönlichen Karriereaufstieg missbraucht werden würde. Damit meine ich diejenigen, denen von vornherein klar ist, dass sie nie oder nie langfristig im Rettungsdienst bleiben wollen – diejenigen, die während des „Geierns“ auf einen Studienplatz eben eine Ausbildung machen und bei der ersten Zusage von einen Tag auf den anderen verschwinden.

An dieser einen Stelle kann ich jeden Arbeitgeber verstehen. Es wird Zeit und Geld in die Leute investiert, ein begehrter Ausbildungsplatz „verbrannt“ und man hat überhaupt nichts davon. Und es wird auch zu oft nicht einmal gedankt.

Fazit

Ein gewisses Brain Drain im Rettungsdienst kann man nicht verleugnen. Es gibt es.

Und es ist nicht das Problem, dass einige wegen neuer, höher gesteckter Ziele ihre berufliche Laufbahn verlegen – es ist eher das Problem, dass (zu) viele den Rettungsdienst als Karrieresprungbrett in die Medizin missbrauchen. Und das ist schade!

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Über SaniOnTheRoad

„Brain-Drain“ Rettungsdienst?

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


4 Kommentare zu diesem Beitrag:

Ich gebe dir vollkommen recht – die Probleme sind zu einem sehr, sehr großen Teil „hausgemacht“. Verkrustete Strukturen in der Leitungsebene aufzubrechen ist eine Mammutaufgabe.

Und ich kann es absolut nachvollziehen, dass die junge Generation – mit Abitur, Top-Examen und viel Fachwissen ausgestattet – sich andere Bedingungen sucht (und findet).

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