„Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 27: Die pulmonale Auskultation

„Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ bietet eine Übersicht über Aufbau, Struktur und Gepflogenheiten des Rettungsdienstes in Deutschland. Hier geht es um das, was Interessenten und Neueinsteiger wissen sollten.

Zu „Teil 26 – Der Praxisanleiter im Rettungsdienst“ geht es hier.

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Teil 27: Die pulmonale Auskultation

Nicht nur in Zeiten von COVID-19 macht es Sinn, „Herz und Lunge“ zu prüfen – rettungsdienstlich spielt vor allem die Auskulatation der Lunge eine große Rolle.

Die Lunge als zentrales Organ des Atmungssystems und damit auch das zentrale Organ zur Sicherstellung der primären Vitalfunktion „Atmung“ verdient Aufmerksamkeit – nicht selten ist sie von Erkrankungen betroffen, die eher häufig als selten den Alarmierungsgrund für den Rettungsdienst darstellen.

Die Auskulatation der Lunge gehört zur rettungsdienstlichen Basisdiagnostik und gehört generell ins das Primary Survey.

Was es dabei zu beachten gibt, klären wir nun!

Das richtige Equipment

Zur Auskultation braucht man – wer hätte es gedacht – ein Stethoskop. Und hier kommt es darauf an, welches Material einem der Arbeitgeber zur Verfügung stellt: vom Zwei-Euro-Spielzeugstethoskop bis zum hochwertigen Markenprodukt kann man so ziemlich alles finden.

Die Unterschiede in der Qualität sind enorm – gerade für „Ungeübte“ macht es die Auskultation bisweilen erheblich schwieriger.

Wie ist ein Stethoskop aufgebaut?

Von Prinzip her besteht jedes Stethoskop aus den Ohrbügeln mit den Ohroliven, dem Schlauch sowie dem Bruststück.

Ohroliven gibt es in festen Ausführungen aus Hartplastik sowie als „weichere“ Gummi-Oliven – letztere sind nicht nur komfortabler, sondern bieten auch eine bessere Abdichtung und damit bessere akustische Qualität.

Bei den Schläuchen wird zwischen Ein- und Doppelschlauchsystemen unterschieden – Doppelschlauchsysteme haben zwei abgetrennte Schläuche (z.T. in einem großen Schlauch zusammengefasst), die jeweils zu einem Ohrbügel führen. Doppelschlauchsysteme bieten ebenfalls eine bessere akustische Qualität.

Bei den Bruststücken gibt es grundsätzlich zwei Varianten – „Einzelkopfbruststücke“ als einfachere Bauart, sowie Doppelkopfbruststücke, welche in aller Regel eine Membranseite und eine Trichterseite haben. Die Membranseite dient vor allem zur Auskultation hochfrequenter Töne – die Trichterseite für die Auskultation tieferer Frequenzen (nicht, wie fälschlicherweise angenommen, für Kinder).

Moderne Stethoskope können die Frequenzadaption z.T auch die Variierung des Anpressdrucks ermöglichen – so ergibt sich die Funktionalität eines Doppelkopfstethoskops, ohne, dass der Aufbau als solches erfolgt ist.

Ein eigenes Stethoskop?

Es ist fast schon eine Glaubensfrage, ob man sich selbst Equipment für die Arbeit zulegen möchte oder nicht – zumindest wenn der eigene Arbeitgeber eher „wenig bietet“, was die Stethoskope angeht, sollte man das in Erwägung ziehen.

Wenn man hauptberuflich tätig ist und vorbildlich nach xABCDE arbeitet, wird das Stethoskop in praktisch jedem Einsatz benötigt – eine Anschaffung kann sich also lohnen. Bei pfleglichen Umgang halten gute Stethoskope problemlos über mehrere Jahre hinweg, die Investition (steuerlich geltend machen!) ist also verschmerzbar.

Für den Rettungsdienst muss man fairerweise sagen: ein 200-€-High-End-Kardiologen-Stethoskop von Littmann muss es definitiv nicht sein, auch wenn man qualitativ keinen Fehler damit macht. Man bezahlt hier am Ende des Tages auch viel für den Namen, ohne von der „Mehrleistung“ etwas zu haben.

Günstigere Modelle von Littmann, z.B. das Classic III, oder Modelle preiswerterer Hersteller wie MDF sind allerdings durchaus empfehlenswert.

Die Auskultation

Für die rettungsdienstliche Praxis ist eine Unterscheidung zwischen der Auskultation im Primary Survey als „schnellen Überblick“ sowie der differenzierten Untersuchung im Secondary Survey als „komplette Auskultation“ sinnvoll.

Grundsätzliches

Bei der Recherche zu dem Thema ist aufgefallen, dass es ungefähr hundert verschiedene Aussagen über die Auskultationspunkte und deren Anzahl gibt, sowohl in unterschiedlichster Fachliteratur als auch in diversen Internetquellen. Im Prinzip lässt es nur den Schluss zu: einen allgemeinen Konsens, „wie viel“ Auskultation, gerade im Rettungsdienst, notwendig ist, gibt es nicht.

Dementsprechend handelt es sich bei der nachfolgenden Empfehlung schlicht und ergreifend um eine Interpretation meinerseits, ausgehend vom „Minimalkonsens“ als Handreichung.

Technik

Im Optimalfall sollte der Patient sitzen und sowohl Brust als auch Rücken frei zugänglich sein. Der Stethoskopkopf muss gut aufliegen, ansonsten sind Störgeräusche wahrscheinlich, ebenso sollte der Schlauch frei hängen und nirgends reiben, denn auch hier ergibt sich selbiges Problem.

Die Ohroliven müssen gut sitzen – ansonsten hört man schlicht und ergreifend nichts.

Und: man tut dem Patienten definitiv einen Gefallen, wenn der Stethoskopf vor dem Auflegen etwas angewärmt wird.

Auskultation im Primary Survey – 4-Punkt-Auskultation

Die Auskultation an vier Punkten stellt nur eine eingeschränkte Beurteilung der Lunge dar – sie dient der Identifikation schwerwiegender, akuter Probleme. Werden Probleme festgestellt ist im Verlauf eine differenzierte Untersuchung notwendig.

Durchführung

In diesem Falle ist es zweitrangig, ob man an Brust (ventral) oder Rücken (dorsal) auskultiert – funktionieren tut beides. Die Auskultation erfolgt in diesem Fall an den Lungenspitzen (apikal) und an der Lungenbasis (basal) jeweils im Seitenvergleich.

Es bietet sich zur Standardisierung der Handlungsabläufe durchaus an, immer „von oben nach unten“ (cranial nach caudal) zu auskultieren.

Auskultation im Secondary Survey – „12+1“-Auskultation

Mit der „12+1“-Auskulation ergibt sich ein wesentlich differenzierteres Bild der Lungenbelüftung in den einzelnen Abschnitten und die Differentialdiagnose wird erleichtert. Nachteilig ist: der Untersuchungsgang dauert länger, eine absolute Abbildung der Lungenbelüftung ist auch hier nicht möglich.

Durchführung

Das Grundprinzip „cranial nach kaudal im Seitenvergleich“ bleibt auch hier gleich – es wird allerdings sowohl dorsal und ventral auskultiert, zusätzlich erfolgt die Auskultation auch medial sowie die Auskultation der Trachea.

Gegebenenfalls kann hier jeweils mit Membran und Trichter (bei Doppelkopfstethoskopen) auskultiert werden.

Damit ergibt sich ein recht gutes Bild der Lungenbelüftung, welches für die rettungsdienstliche Diagnostik als ausreichend betrachtet werden kann.

AMBOSS: Lungenuntersuchung mit beispielhafter Auskultation

Was sollte man hören?

Atemgeräusche

Atemgeräusche sind erst einmal das wichtigste – sie geben nämlich darüber Aufschluss, ob überhaupt Luft in die Lunge (bzw. ein bestimmtes Lungenareal) kommt.

Ein normales Atemgeräusch (vesikuläres AG, VAG) findet man über der gesunden Lunge – es ist ein vergleichsweise leises, niederfrequentes „Rauschen“, welches überwiegend in der Inspiration hörbar ist.

Ein bronchiales Atemgeräusch klingt „schärfer“, lauter und ist höherfrequent als das vesikuläre Atemgeräusch. Über den großen Bronchien ist es physiologisch, in der Lungenperipherie deutet es auf eine Infiltration des Lungengewebes hin.

Abgeschwächte oder gar fehlende Atemgeräusche weisen auf eine Hypoventilation des betroffenen Lungenabschnittes hin, z.B. bei Pleuraergüssen oder Pneumothorax.

AMBOSS: Physiologische Atemgeräusche

Atemnebengeräusche

Differentialdiagnostisch besonders interessant sind allerdings die Atemnebengeräusche – diese sind pathologisch und geben einen Hinweis darauf, wo das Problem des Patienten liegt.

Stridor (Pfeifen)

Der Stridor ist ein hochfrequentes, pfeifendes Atemnebengeräusch, welches oft schon ohne Stethoskop aus der Distanz hörbar ist. Häufiger ist ein inspiratorischer Stridor, welcher auf eine Obstruktion der oberen Atemwege hindeutet – allerdings ist auch ein exspiratorischer Stridor möglich.

AMBOSS: Stridor

Giemen, Brummen und „Spastik“

Das Giemen ist ein hochfrequentes, exspiratorisches Atemnebengeräusch, welches auf eine Obstruktion der unteren Atemwege hindeutet. Die Abgrenzung zum exspiratorischen Stridor ist schwierig, bisweilen werden die Begriffe auch synonym verwendet.

Mit einer ähnlichen Pathogenese (Obstruktion der unteren Atemwege, vorwiegend durch Schleim) entsteht das Brummen als niederfrequentes in- oder exspiratorisches Atemgeräusch.

Die „Spastik“ bei der Auskultation stellt kein eigenständiges Atemnebengeräusch dar – sie ist der Sammelbegriff für die Atemnebengeräusche, welche auf eine Obstruktion der unteren Atemwege hindeuten, sprich Giemen und Brummen, sowie das isolierte verlängerte Exspirium (verlängerte Ausatmung) bei leichteren Formen.

AMBOSS: Giemen
AMBOSS: Brummen

Rasselgeräusche

Rasselgeräusche (RGs) sind vor allem inspiratorisch hörbare Atemnebengeräusche, die auf Sekret oder Flüssigkeit in Alveolen und Atemwegen hindeuten.

Es werden dabei fein-, mittel- und grobblasige Rasselgeräusche unterschieden – von hochfrequent bis niederfrequent. Grundregel dabei: je mehr Flüssigkeit, desto tiefer die Frequenz. Grobblasige Rasselgeräusche können im Extremfall einen Klang ähnlich „mit einem Strohhalm in ein Wasserglas pusten“ haben.

Da sich Sekrete und Flüssigkeiten auch nach der Schwerkraft richten, sind Rasselgeräusche basal meist besser hörbar und niedrigfrequenter, als an der Lungenspitze.

Feinblasige Rasselgeräusche findet man bspw. bei der chronischen Linksherzinsuffizienz mit Lungenstauung, globblasige Rasselgeräusche beim akuten Lungenödem oder der Flüssigkeitsaspiration.

AMBOSS: Grobblasige Rasselgeräusche

Worauf kommt es an?

Wichtig sind richtiges Arbeitsmaterial, richtige Technik und vor allem: regelmäßige Praxis!

Die Auskultation ist Übungssache! Nur wer regelmäßig auskultiert, wird Abweichungen vom „Normalzustand“ sicher erkennen. Deshalb sei angeraten, die Auskultation als absolut sinnvolle Standarddiagnostik bei jedem Patienten anzuwenden.

Interessenkonflikte

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Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Böhmer R., Schneider T., Wolcke B. (2020): Taschenatlas Rettungsdienst, 11. Auflage. Böhmer & Mundloch Verlag, Mainz. ISBN 978-3-948320-00-3. Hier erhältlich: https://amzn.to/3I9E1Ap Affiliate-Link

Enke K., Flemming A., Hündorf H.-P., Knacke P., Lipp R., Rupp P. (2018): Lehrbuch für präklinische Notfallmedizin, Band 1, 5. Auflage. Verlagsgesellschaft Stumpf & Kossendey mbH, Edewecht. ISBN: 978-3-943174-41-0. Aktuelles Gesamtwerk (3 Bände, 6. Auflage, 2019) hier erhältlich: https://amzn.to/3s8xH6L Affiliate-Link

Füeßl H., Middeke M. (2010): Duale Reihe – Anamnese und Klinische Untersuchung, 4. Auflage. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart. ISBN: 978-3-13-126884-6. Aktuelle Auflage (7. überarbeitete Auflage, 2022) hier erhältlich: https://amzn.to/3BDEk4i Affiliate-Link

Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake F. (2020): Notfallsanitäter Heute, 7. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3437462115. Hier erhältlich: https://amzn.to/3s8KEh5 Affiliate-Link

Renz-Polster H., Krautzig S. (2012): Basislehrbuch Innere Medizin, 5. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN: 978-3-437-41114-4. Aktuelle Auflage (6. Auflage, 2017) hier erhältlich: https://amzn.to/3v3JmFX Affiliate-Link

YouTube (2020): Giemen (Pfeifen) — Lungenauskultation — Folge 1 — Atemgeräusche – AMBOSS Video, abgerufen von https://www.youtube.com/watch?v=i8QGs6xAyMk am 10.03.2021

YouTube (2020): Lunge – Klinische Untersuchung (Lungenuntersuchung) – AMBOSS Video, abgerufen von https://www.youtube.com/watch?v=aJezmHSMLog&t=249s am 10.03.2021

YouTube (2020): Physiologische Atemgeräusche — Lungenauskultation — Folge 2 — Atemgeräusche, abgerufen von https://www.youtube.com/watch?v=sGh-3DBBX2k am 10.03.2021

YouTube (2020): Grobe Rasselgeräusche — Lungenauskultation — Folge 3 — AMBOSS Video, abgerufen von https://www.youtube.com/watch?v=2kd-m1yrHhI am 10.03.2021

YouTube (2020): Brummen — Lungenauskultation — Folge 5 — Atemgeräusche, abgerufen von https://www.youtube.com/watch?v=-rUXOVoUS3M am 10.03.2021

YouTube (2020): Stridor — Lungenauskultation — Folge 8 — Atemgeräusche — AMBOSS Video, abgerufen von https://www.youtube.com/watch?v=aRlc578x4hU am 10.03.2021

Ziegenfuß, T. (2016): Notfallmedizin, 7. Auflage. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg. ISBN: 978-3-662-52774-0. DOI: 10.1007/978-3-662-52775-7. Aktuelle Auflage (8. Auflage, 2022) hier erhältlich: https://amzn.to/3BGr3Ia Affiliate-Link

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Über SaniOnTheRoad

„Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 27: Die pulmonale Auskultation

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.