Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.
Die kalte Jahreszeit steht mal wieder vor der Tür – und damit die Zeit, sich über eine unterschätzte Basismaßnahme zu unterhalten. Wahrscheinlich gibt es wenige Maßnahmen, die von Ersthelfern besser durchgeführt werden, als vom Rettungsdienst: der Wärmeerhalt zählt jedoch wohl dazu.
Es gibt vermutlich keine Maßnahme, die derart regelmäßig vergessen wird oder viel zu spät erfolgt. Egal, ob es der Sanitätshelfer ist oder der NotSan mit zehn Jahren Berufserfahrung. In Ausbildungsveranstaltungen kann man davon ausgehen, dass die Hälfte der Teilnehmer diese Maßnahme übersieht. Egal, wie fit diese in der Materie sind.
Dabei ist die Maßnahme an sich an Einfachheit kaum zu überbieten – und sie macht dann Probleme, wenn sie nicht erfolgt.
Warum ist der fehlende Wärmeerhalt ein Problem?
Der menschliche Organismus strebt grundsätzlich eine Homöostase an, ein inneres Gleichgewicht. Was esoterisch angehaucht klingt, ist es aber keineswegs. Der Körper hat für viele Funktionen sehr enge physiologische Grenzen, innerhalb derer er funktioniert. Werden diese Grenzen überschritten, geht es bisweilen schnell in eine Abwärtsspirale.
Für die Homöostase spielt auch die Temperatur eine entscheidende Rolle. Zahlreiche Stoffwechselprozesse, Rezeptorfunktionen und sonstige physiologische Prozesse funktionieren nur bei einer Normothermie regelrecht. Bei einer Hypothermie (< 35°C KKT) fangen die Probleme dann recht schnell an.
Blutgerinnung
Aus dem Bereich der Traumaversorgung mag manch einem noch die „letale Trias“ aus traumatischer Koagulopathie, Hypothermie und Azidose bekannt sein. Die Aktivität der Gerinnungsfaktoren nimmt bereits < 36° mit jedem Grad um 10 % ab – kommt dazu noch ein traumatischer Blutverlust (Verbrauchskoagulopathie), werden Blutungen deutlich verstärkt.
Energiebedarf
Patienten mit einer leichten bis moderaten Hypothermie tun eins: Zittern, um die Wärmeproduktion zu steigern. Dieser physiologisch sinnvolle Vorgang hat allerdings auch seine Schattenseiten. Der Energiebedarf steigt an, es werden Katecholamine und Glucocorticoide ausgeschüttet, die Herzfrequenz steigt – neben dem allgemein erhöhten Energiebedarf durch die Muskelarbeit.
Dies ist so lange in Ordnung, wie eine ausreichende Kompensation des Wärmeverlustes dadurch möglich ist – und solange der Körper ausreichende Energiereserven hat. Gegebenenfalls kommt es schon hier zu einem teilweise anaeroben Stoffwechsel und damit zu einer beginnenden metabolischen Azidose.
Herz-Kreislauf-System
Um sich vor der Auskühlung zu schützen, macht der Körper eine prinzipiell sehr sinnvolle Sache: er reduziert die Durchblutung der Haut und der Extremitäten, um Wärmeverluste zu minimieren.
Auch hier gibt es eine Schattenseite: das Blut verschwindet ja nicht einfach, sondern es sammelt sich vermehrt am Körperstamm. Durch die periphere Vasokonstriktion wird einerseits die Nachlast erhöht, durch die Zentralisation des venösen Blutes kommt es zu einer Erhöhung der Vorlast.
Das Herz wird somit nochmals – zusätzlich zur Tachykardie – belastet, was insbesondere bei kardial vorbelasteten Patienten zu einer Dekompensation führen kann.
Wärmeerhalt: wann?
Der Wärmeerhalt sollte grundsätzlich schon im Primary Survey erfolgen, klassischerweise ist es im xABCDE-Schema eine „E“-Maßnahme. Das heißt: spätestens bei E muss (nach der schnellen Trauma-Untersuchung) der Wärmeerhalt erfolgen.
Praxistipp
Es gibt kein Verbot, dem Patienten vor „E“ eine Decke zu geben. Gerade bei widrigen Witterungseinflüssen (nass-kaltes Wetter, augenscheinlich frierender Patient) ist der frühzeitige Wärmeerhalt essentiell.
In diesem Falle sollte bei „E“ der Wärmeerhalt allerdings überprüft und optimiert werden.
Wärmeerhalt: wie?
Manch einen mag es schockieren: das Thema „Wärmeerhalt“ ist nicht mit „Patient hat eine Decke“ erledigt.
Es gibt einige Dinge, die darüber hinaus zu beachten sind…
Entkleiden
Was beim Traumapatienten Standard ist, gilt auch für hypotherme Patienten: die Kleidung muss weg!
Gerade nasse oder auch nur verschwitzte Kleidung begünstigt die Wärmeabgabe durch Evaporation extrem – der Patient verliert in diesem Falle weniger Wärme, wenn er keine Kleidung trägt. Dafür muss allerdings ein entsprechender, suffizienter Wärmeerhalt durch den Rettungsdienst gewährleistet sein.
Bei schwereren Hypothermien sollte das Entkleiden ggf. durch das Aufschneiden der Kleidung erfolgen, um einen Bergungstod zu vermeiden.
Decke
Eine Decke wird selten für einen ordentlichen Wärmeerhalt reichen. Man muss bedenken: der Patient verliert nicht nur Konvektion (Wärmeabgabe an die Umgebungsluft) und Radiation (Wärmeabstrahlung) Wärme, sondern auch durch Konduktion – also den direkten Wärmeaustausch mit einem Objekt.
Daher: auch die Auflagefläche sollte dem Wärmeerhalt zuträglich sein!
Eine handelsübliche Trage ist im Winter vor allem eines: kalt. Und das ist mit dem Ziel eines Wärmeerhalts nicht gerade zielführend. Daher sollte auch die Trage entsprechend vorbereitet werden.
Je nach Temperatur und Witterung bietet sich eine Schichtung (von unten nach oben) mit Rettungsdecke, Einmaldecke und Einmaltragelaken an. Für den Patienten selbst sollte eine Einmaldecke als „normale“ Decke, gefolgt von einer Rettungsdecke erwogen werden.
Wichtig
Die Decken müssen eng anliegen, auch an den Füßen! Sonst macht der „Kamineffekt“ den Erfolg gleich wieder zunichte.
Aktiver Wärmeerhalt
Neben allen bisherigen Maßnahmen kann man natürlich auch aktiv zum Wärmeerhalt beitragen. Das geschieht, wer hätte es gedacht, durch aktives Aufwärmen.
Ein warmes Fahrzeug ist eigentlich eine Grundvoraussetzung und dank Motorweiterlaufschaltung auch gut realisierbar. Die Zeiten für Wärmeverluste sollten so gering wie möglich gehalten werden – heißt, dass man im Winter die Türen des RTW während der Patientenversorgung nicht offen stehen lässt.
Die voreingestellte Temperatur im Patientenraum darf großzügig warm sein – eine normale Zimmertemperatur wäre schon zu kalt.
Mancherorts werden auch chemische Wärmeerzeuger, wie z.B. Ready-Heat-Decken, verwendet. Diese sind allerdings nur als Zusatz zu anderen Maßnahmen des Wärmeerhalts zu sehen, die Basismaßnahmen ersetzen sie nicht.
Quellen
Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake F. (2020): Notfallsanitäter Heute, 7. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3437462115. Hier erhältlich: https://amzn.to/3s8KEh5
Ziegenfuß, T. (2016): Notfallmedizin, 7. Auflage. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg. ISBN: 978-3-662-52774-0. DOI: 10.1007/978-3-662-52775-7. Aktuelle Auflage (8. Auflage, 2022) hier erhältlich: https://amzn.to/3BGr3Ia
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