„Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 16: EKG-Basics II

“Kleines 1×1 des Rettungsdienstes” bietet eine Übersicht über Aufbau, Struktur und Gepflogenheiten des Rettungsdienstes in Deutschland. Hier geht es um das, was Interessenten und Neueinsteiger wissen sollten.

Zu “Teil 15 – Blutdruck messen, aber richtig!” geht es hier.

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Teil 16 – EKG-Basics II

Im ersten Teil zu den EKG-Basics haben wir uns Funktionsweise, Begrifflichkeiten, Ableitungen, das richtige Kleben und den normalen Sinusrhythmus angesehen.

Nun bringt das schönste EKG nichts, wenn man keine Informationen daraus gewinnen kann – man muss es auch richtig interpretieren können und dementsprechende Handlungsweisen daraus ableiten können.

Vorneweg: das braucht Übung. Übung bedeutet hier: keine sauberen, schönen Bilderbuch-EKGs auseinander zu nehmen, sondern eben “reale” EKGs, die mal schlecht geschrieben sind oder Artefakte haben, anzusehen.

Meine Empfehlung daher (für alle die im Rettungsdienst aktiv sind): mal das Einsatzarchiv der Monitoreinheit (z.B. Corpuls C3) durchstöbern und die 12-Kanal-EKGs ausdrucken.

Die Notfallinterpretation

Ich möchte mich hier wirklich auf das Wesentliche beschränken: die Notfallinterpretation, wie sie im Rettungsdienst üblich und für “Nicht-Kardiologen” empfohlen wird.

Ein Kardiologe wird wahrscheinlich anders vorgehen (und mehr “herauslesen” können), als ich in der Variante, wie ich es vorstelle.

Themen, die nicht zur “klassischen” Notfallinterpretation gehören (u.a. die Lagetypbestimmung), werde ich rauslassen. Die akute Relevanz ist eher begrenzt, es erfordert noch mehr Übung und vor allem: im Einsatz noch mehr Zeit.

Auch für die Notfallinterpretation gilt: das EKG muss ausgedruckt werden! Auf einem Monitor ist keine zuverlässige Interpretation möglich, zur Diagnostik ist es unzulässig (Ausnahme natürlich: u.a. erkennbares Kammerflattern, Kammerflimmern, ventrikuläre Tachykardien und Asystolien)

Sieben Punkte

Im Rahmen der Notfallinterpretation werden sieben Punkte nacheinander abgefragt und daraus ein EKG-Befund abgeleitet. Es bietet sich wirklich an, die Reihenfolge einzuhalten.

1. Sind QRS-Komplexe erkennbar?

Die wohl wichtigste Frage überhaupt: sehe ich auf dem EKG eine Kammererregung? Ohne Kammererregung gibt es keine Auswufleistung – dementsprechend wäre es ein Kreislaufstillstand.

Aber Achtung: auch trotz vorhandener Kammererregung muss keine Kammerkontraktion (pulslose elektrische Aktivität) oder eine ausreichende Auswurfleistung (z.B. Kammerflimmern) vorliegen – ohne Kammererregung gibt es allerdings sicher keine Kammerkontraktion oder Auswurfleistung.

2. Wie hoch ist die QRS-Frequenz?

Wie oft eine Kammererregung ausgelöst wird, gibt Rückschlüsse auf das Herzminutenvolumen – sprich: wie gut das Herz den Körper versorgen kann. Die QRS-Frequenz ist das, was man gemeinhin als Herzfrequenz (HF) bezeichnet und auch auf dem EKG-Monitor angezeigt bekommt.

Sowohl “gefährlich langsam”, als auch “bedrohlich schnell” verursachen hier Probleme.

Normbereiche der Herzfrequenz (beim Erwachsenen in Ruhe)

  • zu langsam (Bradykardie): < 60/min
  • Normbereich (Normofrequent): 60 – 100/min
  • zu schnell (Tachykardie): > 100/min

Bestimmung der Herzfrequenz

Auch hier sollte man sich nicht auf die Anzeige des Monitors verlassen – diese wird durch Artefakte (Fehlaufzeichnungen) unheimlich schnell verfälscht.

Auch hier ist das Auszählen anhand des Ausdrucks – zumindest bei regelmäßigen Frequenzen – genauer.

300er/600er-Regel

Man zählt bei regelmäßigen Frequenzen schlicht die Anzahl der Kästchen zwischen zwei R-Zacken. Abhängig von der Schreibgeschwindigkeit des EKGs oder des Rhythmusstreifens (25 mm/s oder 50 mm/s -> Auf dem Ausdruck vermerkt) ergeben sich

  • bei 25 mm/s: HF = 300 / (Anzahl der Kästchen zwischen R-Zacken)
  • bei 50 mm/s: HF = 600 / (Anzahl der Kästchen zwischen R-Zacken)

3. Sind die QRS-Komplexe breit oder schmal?

Auch das Aussehen – insbesondere die Breite – der QRS-Komplexe lässt wichtige Rückschlüsse zu. Ein normaler, physiologischer QRS-Komplex ist schmal (< 0,12 s von Beginn der Q-Zacke bis zum Ende der S-Zacke). Breite QRS-Komplexe deuten auf eine Erregungsleitungsstörung hin.

Faustregel für die Breite

  • bei 25 mm/s: der QRS-Komplex sollte nicht breiter als ein halbes großes Kästchen auf dem Ausdruck sein
  • bei 50 mm/s: der QRS-Komplex sollte nicht breiter als ein großes Kästchen auf dem Ausdruck sein
  • Bei grenzwertiger Breite -> nachmessen!

4. Sind die QRS-Komplexe regelmäßig oder unregelmäßig?

Hier geht es darum “Rhythmisch oder arrhythmisch?” herauszufinden – das ist tatsächlich meist eine reine Blickdiagnose. Sind die Abstände der QRS-Komplexe gleich oder variieren sie?

5. Ist Vorhofaktivität erkennbar?

P-Wellen oder nicht – das ist hier die Frage. Am besten erkennt man die P-Wellen in den Ableitungen V1 und V2.

Alternativ: sind Flatter- oder Flimmerwellen erkennbar? Wenn ja, sollte nach Möglichkeit auch hier die Vorhoffrequenz bestimmt werden.

6. Verhältnis von Vorhof- und Kammererregung?

Vom Prinzip her werden die Teilragen 6a) folgt auf jede P-Welle ein Kammerkomplex? und 6b) geht jedem Kammerkomplex eine P-Welle voraus? beantwortet.

Wird jede Vorhoferregung auf die Kammer übergeleitet? Erfolgt die Überleitung in einem anderen, festen Rhythmus oder komplett unkoordiniert?

Ist die PQ-Zeit normal, verkürzt oder verlängert?

All das lässt schon Diagnosen zu und deutet im Zweifelsfall auf eine Erregungsleitungsstörung hin.

7. Gibt es Ischämiezeichen?

Quasi einer der wichtigsten Punkte zum Schluss: gibt es Anzeichen für eine Sauerstoffmangelversorgung des Herzmuskels mit Zellschädigung – sprich einen Herzinfarkt?

Das sind zum einen meist spezifische Erregungsrückbildungsstörungen (vor allem ST-Strecken-Veränderungen), aber auch Links- sowie Rechtsschenkelblöcke. Dazu werde ich in einem weiteren Teil etwas mehr schreiben.

Fazit

Wer nach diesem Schema vorgeht, kann sich recht sicher sein, dass nichts unmittelbar behandlungsbedürftiges übersehen wird – eine umfangreiche Diagnostik stellt es nicht da, ist aber im Rahmen der Erstbefundung durch Rettungsdienstpersonal vollkommen ausreichend.

Schon damit lassen sich einige EKG-Befunde ableiten und vor allem auch: ordentlich benennen.

Ein vollkommener Normalbefund wäre demnach ein “normofrequenter Sinusrhythmus ohne Ischämiezeichen“.

Quellen

Böhmer R., Schneider T., Wolcke B. (2020): Taschenatlas Rettungsdienst, 11. Auflage. Böhmer & Mundloch Verlag, Mainz. ISBN 978-3-948320-00-3. Hier erhältlich: https://amzn.to/3I9E1Ap

Gertsch M. (2008): Das EKG, 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg. ISBN 978-3-540-79121-8. Hier erhältlich: https://amzn.to/3BGCeR8

Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake F. (2020): Notfallsanitäter Heute, 7. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3437462115. Hier erhältlich: https://amzn.to/3s8KEh5

Trappe H.-J., Schuster H.-P. (2020): EKG-Kurs für Isabel, 8. aktualisierte Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart/New York. ISBN 978-3-13-220030-2. DOI: 10.1055/b000000429. Hier erhältlich: https://amzn.to/3BDwqrH

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Über SaniOnTheRoad

„Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 16: EKG-Basics II

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


8 Kommentare zu diesem Beitrag:

Hallo Saniontheroad,

mit Begeisterung lese ich deinen Blog und verfolge die neuen Beiträge. Besonders Infos über den Alltag als Sani finde ich besonders interessant. Was ich noch interessant fände: die 20 häufigsten Gründe, warum der Rettungsdienst gerufen wird, also quasi die häufigsten Einsätze !
Ich wünsche dir noch einen schönen Tag,
Elsa

Hallo Elsa,

vielen Dank für Dein Feedback und Deine Anregungen! Solche Themen sind für 2020 definitiv in der Planung – und jetzt auch nochmal notiert 😉
In den nächsten Tagen wird es eine Umfrage geben (wie in meinem Jahresrückblick angekündigt), wo ich entsprechende Themenwünsche suchen werde, um meine “Arbeit” am Blog etwas mehr fokussieren zu können.
Einen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht dir

SaniOnTheRoad

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