Ungebundene Ersthelfer als First Responder

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Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.

Inhaltsverzeichnis

Worum geht es?

First-Responder-Systeme sind jetzt weder selten, noch außergewöhnlich – gerade in ländlicheren Bereichen sind diese seit vielen Jahren eine etablierte Unterstützung des Rettungsdienstes und eine Möglichkeit des ehrenamtlichen Engagements im Rahmen des Sanitätsdienstes.

Im Regelfall handelt es sich also um ein klassisches Ehrenamt unter dem Dach der Hilfsorganisationen, der Feuerwehr oder „Regieeinheiten“ der Gemeinden.

Nun macht die Entwicklung allerdings auch nicht vor etablierten Strukturen halt und zunehmend kommen auch diverse Apps ins Spiel, welche den typischen First-Responder-Begriff aufweichen – mit entsprechenden Vorteilen und entsprechenden Problemen.

Die Einbindung von Ersthelfern

Die Einbindung von Ersthelfern in die notfallmedizinische Erstversorgung ist definitiv keine „neue“ Idee. Mit Blick auf die Rettungskette wird deutlich, dass Ersthelfer seit jeher die ersten und oft genug auch entscheidenden Glieder sind:

„Neu“ ist in dem Sinne die gezielte Alarmierung ungebundener Helfer. Der Ersthelfer ist in diesem Fall nicht mehr notwendigerweise derjenige, der zufällig vor Ort ist – sondern auch gezielt hinzugezogen wird.

Mittlerweile gibt es eine Handvoll etablierter „Ersthelfer-Apps“, die in der Ausgestaltung der Systeme nicht unterschiedlicher sein könnten, z.B.

Allen ist letztendlich gemein: sie stellen eine Smartphone-basierte Alarmierungsmöglichkeit für Ersthelfer bei entsprechend kritischen Notfällen dar – und dann hören die Gemeinsamkeiten meist auch schon auf.

Einige der Lösungen integrieren beispielsweise vorrangig Hilfsorganisationen und Feuerwehren vor Ort und fungieren in erster Linie als „Alarmierungssystem“ – andere arbeiten von diesen vollkommen unabhängig.

Manche Lösungen setzen eine sanitätsdienstliche, rettungsdienstliche oder sonstige medizinische Qualifikation voraus, um daran teilnehmen zu können, andere lediglich einen Erste-Hilfe-Kurs oder gar nur ein Mindestalter.

Eine generelle Feststellung ist somit schon einmal: derartige Ersthelfersysteme sind an sich schon extrem heterogen – und von den „klassischen First-Responder-Einheiten“ abzugrenzen.

Vorteile

Die Etablierung solcher Systeme bringt natürlich gewisse Vorteile mit sich…

Die „Ungebundenheit“ an eine Organisation und etwaige Verpflichtungen sehe ich tatsächlich als einen der relevantesten Vorteile.

An den Teilnehmerzahlen, die solche Systeme durchaus haben, kann man durchaus subsumieren, dass das Interesse am und die Bereitschaft zum „Helfen“ durchaus groß ist. Die Strukturen, Verpflichtungen oder auch simple Vereinsmeierei des Ehrenamts – sei es bei den Hilfsorganisationen oder der Feuerwehr – können aber durchaus so manchen abschrecken.

Helfen? Auf jeden Fall. Größere Verpflichtungen eingehen? Nein danke.

Hier können solche Lösungen durchaus engagierte Helfer generieren, welche durchaus einen Benefit für die Bevölkerung haben können.

In die gleiche Kerbe schlägt die Niedrigschwelligkeit. Man braucht bei manchen Lösungen allenfalls einen Erste-Hilfe-Kurs (oder einfach nur ein Mindestalter), um mitwirken zu können. Keine ganzen Wochenenden auf irgendwelchen Lehrgängen, keine Pflicht zur Fortbildung.

Man kann ohne größere zeitliche Investitionen sich der gewählten Aufgabe widmen.

Einen Benefit können solche Systeme auch dort bringen, wo First Responder im eigentlichen Sinne wenig effizient sind. Beispielsweise im Innenstadtbereich größerer Städte, wo typische First-Responder-Einheiten wenig bis gar keinen Zeitvorteil bringen – hier ist der ungebundene Helfer, der notfalls zu Fuß oder mit dem Fahrrad direkt an den Ort des Geschehens kommen kann, oft deutlich schneller.

Probleme und Schwierigkeiten

Ein großes Problem ist schlichtweg die große Heterogenität der verschiedenen Lösungen, sowohl was die Verbreitung, als auch die Umsetzung der Systeme angeht.

Auch wenn schon die üblichen First-Responder-Systeme sehr heterogen ausfallen können, kann man im Regelfall zumindest von einer gewissen Basis ausgehen: sanitätsdienstliche Ausbildung und ein gewisses Equipment, welches zur Verfügung steht.

Das ist bei der Ersthelferalarmierung nicht der Fall: die Qualifikationen sind noch breiter gefächert, die Ausrüstung…teils gar nicht vorhanden. Ob die Eignung der Teilnehmer bei sehr niedrigschwelligen Möglichkeiten überhaupt hinterfragt wird, steht nochmal auf einem anderen Blatt.

Mit Ausbildungsstand und Equipment geht auch die nächste Schwierigkeit einher: ein sinnvoller Einsatz ist unter den Umständen nur dann möglich, wenn das Notfallbild weder eine besondere Ausbildung noch Ausrüstung erfordert. Denkbar wären hier vor allem die Bewusstlosigkeit (stabile Seitenlage) und der Kreislaufstillstand (Reanimation).

Schon eine starke Blutung – als typisches Beispiel der Ersten Hilfe – ist ohne entsprechendes Material etwas, was außerhalb des beherrschbaren Einsatzspektrums liegt. Spätestens an dieser Stelle macht die Unterscheidung zwischen Erster Hilfe und qualifizierter Erster Hilfe Sinn.

Kritisch betrachten muss man auch das Thema Einsatznachsorge – diese ist nicht in allen Systemen vorgesehen oder implementiert. Man muss sich vor Augen führen, dass man als Ersthelfer zu (potentiell) lebensbedrohlichen Notfällen geschickt wird und diese abarbeiten muss; im Zweifelsfall, ohne ausreichend dafür vorbereitet zu sein.

Posttraumatische Belastungsstörungen sind schon im Regelrettungsdienst nicht selten – mit entsprechender Ausbildung, Equipment, Routine und mentaler Vorbereitung. Das alles muss bei Ersthelfern nicht der Fall sein, was eine Vulnerabilität hierfür begünstigt. Hier sind fehlende Strukturen und Ansprechpartner fatal.

Fazit

Ersthelfer retten leben – das taten sie auch schon vor der Etablierung dedizierter Ersthelfer-Alarmierungssysteme. Mit dem First Respondern im Sinne der qualifizierten Ersten Hilfe kann man diese meines Erachtens allerdings nicht gleichsetzen.

Die Grundidee halte ich für absolut befürwortenswert: gerade im Falle des Kreislaufstillstands ist jede Hilfe besser, als keine. Ersthelfersysteme können durchaus für „mehr“ (im Sinne von öfter) schnellere Hilfe bedeuten.

Die Heterogenität der verschiedenen Systeme ist allerdings nachteilig und führt zu sehr unterschiedlichen Insellösungen, welche schon unter sich kaum vergleichbar sind.

Kritisch sehe ich jedoch die Themen „realistisches Einsatzspektrum“ und „Einsatznachsorge“ – ersteres halte ich tatsächlich für begrenzt, letzteres für zwingend notwendig. Eine entsprechende Überprüfung der individuellen Eignung für die Tätigkeit, einen gewissen Ausbildungsstand und regelmäßige Übung/Fortbildung wäre definitiv angebracht.

Unterm Strich…

Unter gewissen Umständen können Ersthelfersysteme aus meiner Sicht einen relevanten Benefit bringen – gerade dann, wenn die Etablierung von First-Responder-Einheiten nicht möglich ist.

Im Fähigkeitenspektrum bewegen wir uns allerdings hier oft auf der Ebene absoluter Basismaßnahmen; und damit bei Dingen, die jeder beherrschen sollte. Hier macht eine entsprechende Breitenausbildung der Allgemeinbevölkerung mehr Sinn als ein Ersthelfersystem – gerne dann auch mit weiterer Unterstützung durch typische First-Responder-Einheiten.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Deutscher Rat für Wiederbelebung – German Resuscitation Council (GRC) e.V. (2024): Arbeitsgruppe Smartphone rettet Leben – Ersthelfersysteme, abgerufen unter https://www.grc-org.de/unsere-arbeit-projekte/5-1-Arbeitsgruppe-Smartphone-rettet-Leben-Ersthelfersysteme am 12.04.2024

Dreßing H. et al. (2023): PTBS bei RettungssanitäterInnen: eine „Wie-Berufskrankheit“, Nervenarzt 2023 · 94:1059–1061, abgerufen unter https://www.springermedizin.de/posttraumatische-belastungsstoerung/gesundheitsschaeden-und-berufskrankheiten/ptbs-bei-rettungssanitaeterinnen-eine-wie-berufskrankheit/26094882 am 12.04.2024. DOI 10.1007/s00115-023-01539-8

SaniOnTheRoad (2020): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 20: Ein Blick auf das Ehrenamt, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-20/ am 12.04.2024

SaniOnTheRoad (2020): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 18: First Responder, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-18/ am 12.04.2024

SaniOnTheRoad (2019): Die stabile Seitenlage, abgerufen unter https://saniontheroad.com/die-stabile-seitenlage/ am 12.04.2024

SaniOnTheRoad (2019): Die Herz-Lungen-Wiederbelebung durch Ersthelfer, abgerufen unter https://saniontheroad.com/die-herz-lungen-wiederbelebung-durch-ersthelfer/ am 12.04.2024

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im klinischen Abschnitt des Studiums. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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