BtM-Gabe durch Notfallsanitäter

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Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.

Inhaltsverzeichnis


Es geht ein Raunen durch den Rettungsdienst

Knappe zweieinhalb Jahre ist es nun her, als das letzte große Raunen durch den Rettungsdienst ging – die Erlaubnis für heilkundliche Maßnahmen wurde Gesetz, nachdem unter Anbetracht der COVID-Pandemie bereits das Infektionsschutzgesetz entsprechende Regelungen für den Ausnahmefall zugelassen hatte.

Nun, im Juni 2023 geht das nächste große Raunen durch den Rettungsdienst: es dreht sich um die BtM-Freigabe für Notfallsanitäter – und damit eine der letzten Bastionen des Arztvorbehalts im Rettungsdienst.

Dementsprechend lohnt sich meines Erachtens durchaus ein Blick auf die angestrebten Änderungen!

Die angestrebten Änderungen

Es dreht sich hier um den Gesetzesentwurf der Bundesregierung als Drucksache 20/6871 vom 17.05.2023, welcher am 23. Juni 2023 beraten wird – und insbesondere um den Änderungsantrag 9 in der Ausschussdrucksache 20(14)117.1neu des Gesundheitsausschusses.

Für den Rettungsdienst – und insbesondere für die Notfallsanitäter – sind dabei drei Änderungen interessant, nämlich

  • einmal die Änderungen des Notfallsanitätergesetzes an sich,
  • die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes und
  • die Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung.

Auf den Punkt gebracht: es geht darum, dass Notfallsanitäter zukünftig auch eigenverantwortlich eine medikamentöse Therapie mit Betäubungsmitteln durchführen dürfen.

Zu der Beschlussempfehlung

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung Drucksache 20/6871 (Drucksache 20/7397)

Notfallsanitätergesetz (NotSanG)

Die angestrebten Änderungen des Notfallsanitätergesetzes sind an dieser Stelle wohl noch die unspektakulärsten der ganzen Geschichte.

Es wird lediglich in zwei Paragraphen – namentlich § 2a NotSanG, welcher die Durchführung heilkundlicher Maßnahmen regelt, und § 4 Abs. 2 Nr. 1 c) NotSanG, welcher die eigenverantwortlichen Maßnahmen als Ausbildungsziele definiert – die Formulierung „invasiver oder medikamentöser Art bzw. Maßnahmen“ eingefügt.

Das ist letztendlich als Präzisierung der bisherigen Regelung zu sehen – medikamentöse Therapien fallen nach der gängigen Auffassung natürlich auch unter die invasiven Maßnahmen, jetzt sollen sie schlicht nochmal gezielt benannt werden.

Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV)

Wesentlich interessanter sind hingegen die angestrebten Änderungen von BtMG und BtMVV:

Notfallsanitäter sollen zukünftig ohne vorherige ärztliche Anordnung Betäubungsmittel zur Abwehr gesundheitlicher Schäden eigenverantwortlich anwenden dürfen, wenn

  • hierfür eine Standardarbeitsanweisung/SOP vorliegt und
  • Festlegungen getroffen wurden, wann das Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann.

Sprich: es muss eine konkrete Standardarbeitsanweisung geben, welche die BtM-Gabe regelt.

Dementsprechend werden die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung und entsprechende Strafvorschriften angepasst.

Eine Konsultation des Telenotarztes o.ä. wird in dem Änderungsantrag nicht gefordert.

„Abweichend von Absatz 1 dürfen die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel durch Notfallsanitäter im Sinne des Notfallsanitätergesetzes ohne vorherige ärztliche Anordnung im Rahmen einer heilkundlichen Maßnahme verabreicht werden, wenn diese nach standardisierten ärztlichen Vorgaben handeln, ein Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann und die Verabreichung zur Abwendung von Gefahren für die Gesundheit oder zur Beseitigung oder Linderung erheblicher Beschwerden erforderlich ist. Die standardisierten ärztlichen Vorgaben müssen

1. den handelnden Notfallsanitätern in Textform vorliegen,

2. Regelungen zu Art und Weise der Verabreichung enthalten und

3. Festlegungen darüber treffen, in welchen Fällen das Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann.“

§ 13 Abs. 1b BtMG

„In § 6 Absatz 2 Satz 2 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung vom 20. Januar 1998 (BGBl. I S. 74, 80), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 15. März 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 70) geändert worden ist, werden nach den Wörtern „behandelnden Arzt“ die Wörter „oder den Notfallsanitäter, der die Betäubungsmittel nach § 13 Absatz 1b des Betäubungsmittelgesetzes verabreicht,“ eingefügt.

Bundestag-Drucksache 20/7397

Was bedeutet das für uns?

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Die spannende Frage ist natürlich: welche Konsequenzen hat es für den Notfallsanitäter?

Augenscheinlich hat es natürlich zwei Konsequenzen: zum einen die regelhafte Vorhaltung von BtM auf RTWs und entsprechend den Rettungswachen – zum anderen natürlich neue Standardarbeitsanweisungen, die entsprechend ausgearbeitet und vermittelt werden müssen.

Daneben kommt auch ein entsprechender Dokumentationsaufwand dazu – juristisch ist die BtM-Gabe kein Pappenstiel und es wären hier für den Notfallsanitäter als Anwender schlicht und ergreifend erheblich mehr Vorschriften zu beachten, als es bislang der Fall ist.

Verstöße bewegen sich hier nicht mehr im Bereich einer Ordnungswidrigkeit, sondern schnell im Bereich einer Straftat.

Es kommen neben neuen Kompetenzen auch eine gewisse Anzahl an neuen Regelungen und Vorschriften dazu – wenn der Antrag durch das Gesetzgebungsverfahren so durchläuft, wie angestrebt wird.

Meine zwei Cent zu dem Thema

Grundsätzlich finde ich die Regelung gut – einfach, weil sie den Notfallsanitäter als eigenständige Profession in der präklinischen Notfallmedizin Handlungsspielraum verschafft. Und eben die Anerkennung als Fachkraft mit entsprechenden Kompetenzen.

Es ist nach der Etablierung des Notfallsanitäters als Fachkraft des Rettungsdienstes und der Erlaubnis heilkundlicher Maßnahmen der – fast schon logische – dritte Schritt in der Etablierung des Berufsbildes.

Andererseits macht mir der Entwurf durchaus auch Bauchschmerzen…und zwar aus mehreren Gründen.

Die Vorschriften zum Umgang mit BtM sind nach wie vor streng und man muss sich im Klaren darüber sein, dass auch (oder gerade) bei einer Erlaubnis nochmal deutlich genauer hingeschaut wird, als es bisher der Fall ist. Wenn man sich allein die DIVI-Protokolle mancher Kollegen – aber auch mancher Notärzte – anschaut, möchte ich nicht wissen, wie die Dokumentation im Falle von BtM in der Praxis aussieht.

Medizinisch sind Opiate und Opioide kein Hexenwerk – sie sind gut steuerbar und antagonisierbar, wenn doch mal etwas schief geht. Die jüngeren Kollegen haben die Gabe von BtM durchaus „erlernt“, nachdem sie sich in Ausbildungsalgorithmen wie den DBRD-Musteralgorithmen bereits seit einigen Jahren findet. Ältere Kollegen wiederum eher nicht, hier besteht dann ein entsprechendes „mehr“ an Schulungsbedarf.

Vor allem ploppt bei mir im Kopf wieder unwillkürlich die Frage „Führen wir noch die richtigen Diskussionen?“ auf – die ich in einem Beitrag schon einmal beleuchtet habe.

Wenn wir ehrlich sind, wird die aktuelle Diskussion um die BtM-Gabe durch Notfallsanitäter auch nicht gerade sachlich oder objektiv geführt – und die Einflüsse von Berufspolitik, Polemik und dem erwachsenden Standesdünkel einiger Kollegen (welches sie zu gerne der Ärzteschaft vorwerfen) sind meines Erachtens größer, als sie sein sollten.

Liest man sich auf sozialen Medien die Kommentarspalten durch, kommt der Eindruck auf, als wäre bis zum heutigen Tage keinerlei vernünftige Versorgung von Notfallpatienten möglich gewesen. Es kommt der Eindruck auf, dass nun eine Maßnahme erlaubt wird, die bei praktisch jedem Notfallpatienten zum Tragen kommt und vollkommen alternativlos ist. Das ist – mit Verlaub – Bullshit.

Angesichts solcher Statements stelle ich mir unwillkürlich die Frage, wie manche Kollegen ihre Arbeit machen. Schon heute sind vielerorts erstaunlich viele Analgetika freigegeben, die in vielen Fällen eine suffiziente (Basis-)Analgesie ermöglichen, mit denen man auch die Zeit bis zum Eintreffen des Notarztes durchaus überbrücken kann. Und wenn man sich überlegt, wie gut bereits einfachste, nicht-invasive Basismaßnahmen zur Schmerzlinderung beitragen – wenn sie denn korrekt durchgeführt werden – stellt sich die Frage „BtM oder nicht?“ in vielen Fällen gar nicht.

In meiner rettungsdienstlichen Laufbahn bin ich zwar durchaus in die Lage gekommen, den Gedanken „Ja, Piritramid/Morphin/Fentanyl wären eine gute Option“ zu fassen – aber nicht einmal (wirklich nicht) war die Situation „Ich brauche auf der Stelle und zwingend Piritramid/Morphin/Fentanyl“ gegeben. Und wenn wir ehrlich sind: das dürfte bei den meisten anderen nicht wesentlich anders aussehen.

Die rettungsdienstliche Profilneurose lässt grüßen – und diese wird uns sicherlich nicht helfen, eine gute rettungsdienstliche Praxis im Bezug auf die BtM-Gabe durch Notfallsanitäter zu etablieren.

Es dürfte spannend werden, welche Auswirkungen die neue Regelung – sofern beschlossen – tatsächlich hat.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Patzack J. (2023): Bundestag stimmt für Änderung des BtMG: Teil 2 – Erleichterungen für Notfallsanitäter, abgerufen unter https://community.beck.de/2023/06/25/bundestag-stimmt-fuer-aenderung-des-btmg-teil-2-erleichterungen-fuer-notfallsanitaeter am 18.07.2023

Dahmen J. (2023): Twitter-Beitrag zum Änderungsantrag 9 in der Ausschussdrucksache 20(14)117.1neu, abgerufen unter https://twitter.com/janoschdahmen/status/1671197206768959489?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1671197206768959489%7Ctwgr%5Ed7a78da02a14cdea2bd06252e21d3cae055d31fb%7Ctwcon%5Es1_c10&ref_url=https%3A%2F%2Fpublish.twitter.com%2F%3Fquery%3Dhttps3A2F2Ftwitter.com2Fjanoschdahmen2Fstatus2F1671197206768959489widget%3DTweet am 21.06.2023

Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (2023): Facebook-Beitrag zum Änderungsantrag 9 in der Ausschussdrucksache 20(14)117.1neu, abgerufen unter https://www.facebook.com/DBRDeV/posts/pfbid034t2viuDcN8EBKLEDs9Vfy2N8D2oieq9NtqEJYZwHuJ6JGKHkefKmTAx3sgdt1vYyl am 21.06.2023

Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (2023): Stellungnahme des DBRD zur Anpassung des BtMG und der BtMVV, abgerufen unter https://dbrd.de/images/stellungnahmen/2023/06-01/DBRD_Stellungnahme_A%CC%88nderung_Arzneimittelgesetz_20230608.pdf am 21.06.2023

Deutscher Berufsverband Rettungsdienst (2023): Musteralgorithmen 2023 zur Umsetzung des Pyramidenprozesses im Rahmen des NotSanG, Version 8.0, abgerufen unter https://dbrd.de/images/algorithmen/DBRGAlgo23_Web.pdf am 21.06.2023

Deutscher Bundestag (2023): Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung Drucksache 20/6871, Drucksache 20/7397 vom 21.06.2023, abgerufen unter https://dserver.bundestag.de/btd/20/073/2007397.pdf am 18.07.2023

SaniOnTheRoad (2023): Führen wir noch die richtigen Diskussionen?, abgerufen unter https://saniontheroad.com/fuehren-wir-noch-die-richtigen-diskussionen/ am 21.06.2023

SaniOnTheRoad (2022): Die rettungsdienstliche Profilneurose, abgerufen unter https://saniontheroad.com/die-rettungsdienstliche-profilneurose/ am 21.06.2023

SaniOnTheRoad (2021): Notfallsanitätergesetz vom 22. Mai 2013 (BGBl. I S. 1348), das zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 24. Februar 2021 (BGBl. I S. 274) geändert worden ist, abgerufen unter https://saniontheroad.com/notsang/ am 21.06.2023

SaniOnTheRoad (2021): Heilkundliche Maßnahmen für Notfallsanitäter – Update Februar 2021, abgerufen unter https://saniontheroad.com/rechtssicherheit-fur-notfallsanitater-ist-gesetz-heilkundliche-masnahmen-fur-notfallsanitater-update-februar-2021/ am 21.06.2023

SaniOnTheRoad (2020): Heilkunde für Notfallsanitäter ist Gesetz – im Ausnahmefall, abgerufen unter https://saniontheroad.com/heilkunde-fur-notfallsanitater-ist-gesetz-im-ausnahmefall/ am 21.06.2023

S+K-Verlag (2023): Notfallsanitäter sollen Betäubungsmittel ohne ärztliche Delegation verabreichen, abgerufen unter https://www.skverlag.de/rettungsdienst/meldung/newsartikel/notfallsanitaeter-sollen-betaeubungsmittel-ohne-aerztliche-delegation-verabreichen.html am 21.06.2023


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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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