Das Pareto-Prinzip des Ehrenamts

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Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Es gibt Beiträge, die ich einfach nicht gerne schreibe – dieser ist einer davon.

Es ist nicht unbedingt populär, Dinge, die nicht gut laufen, offen anzusprechen – das gilt umso mehr, wenn dadurch ein Bild gezeichnet wird, welches außerhalb des BOS-Bereichs gänzlich anders wahrgenommen wird.

Gerade in Hinblick auf das Ehrenamt – im Allgemeinen, und hier im Speziellen auf den Sanitätsdienst und den Ortsverein bezogen – ist man dann doch relativ kritikempfindlich. Das Ehrenamt hat eine Sonderstellung und gesellschaftliches Engagement wird allgemein hoch angesehen. Und doch gibt es Dinge zu kritisieren, weil sie früher oder später von einem kleinen Problem zu einem großen Problem werden.

Eine unschöne (aber doch wenig überraschende) Feststellung der letzten Wochen war, wie sehr sich das Pareto-Prinzip auf die Mitwirkung im Ehrenamt anwenden lässt…

Was ist das Pareto-Prinzip?

Nun, manch einer kennt das Pareto-Prinzip auch als „80-zu-20-Regel“ – vereinfacht ausgedrückt besagt die Regel, dass 20 % des Aufwands/der Arbeit 80 % des Erfolgs ausmachen, die restlichen 20 % des Erfolgs machen allerdings 80 % der Arbeit aus.

Letztendlich ist das Pareto-Prinzip eine Art „Faustregel“ aus dem Zeit- und dem Projektmanagement, mit der sich eine sehr einfache Aufwand-Nutzen-Analyse betreiben lässt. Auch wenn es keineswegs als allgemeingültig betrachtet werden kann, verdeutlicht es doch recht gut die anteilige Verteilung des betriebenen Aufwands am Gesamtergebnis.

Gerade dann, wenn keine 100 % notwendig sind (was im Leben oft genug der Fall ist), kann man mit dieser Grundsatzüberlegung durchaus gut mit den eigenen Ressourcen haushalten.

Und aus den Erfahrungswerten eines jeden kann man vermutlich sagen, dass das Prinzip durchaus zutreffend sein kann. Beispiel: um eine Prüfung irgendwie zu bestehen, muss man erheblich weniger Aufwand beitreiben, als für die glatte 1.

So schön wie diese Faustregel ist, so traurig ist es auch, wenn man diese auch auf andere Dinge anwenden kann.

Die Übertragung auf das Ehrenamt – und das Problem

Tja, und da schließt sich der Kreis zum Vorwort: auch im Ehrenamt (des Sanitätsdienstes) kann man durchaus von einem Pareto-Prinzip sprechen.

„20 % der Mitglieder leisten 80 % der Arbeit – 80 % der Mitglieder nur 20 %.“

Und das ist ein Problem.

Ehrenamtliches Engagement ist gerade im Bereich des Katastrophenschutzes ein zweischneidiges Schwert. Einerseits muss man eingestehen, dass alle Beteiligten ihr Geld anderweitig verdienen, durchaus andere Verpflichtungen haben und sich nicht bis zur völligen Selbstaufgabe aufopfern können (und sollen) – andererseits wird mangelndes Engagement im Gegensatz zum Gesangs- oder Schrebergartenverein hier unmittelbar zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem.

Die Tatsache, dass der medizinische Katastrophenschutz in Deutschland funktioniert, liegt an den 20 % der „aktiven Aktiven“ – und nicht an den 80 % der Helfer, die meist nur auf dem Papier existieren.

Dieses Problem zieht sich dabei durch alle Ebenen des Ehrenamtes im Sanitätsdienst…

Katastrophenschutz

Am Gravierendsten ist das mangelnde Engagement – wer hätte es gedacht – im Einsatzfall. Dann, wenn wirklich akut Hilfe benötigt wird.

Das reicht von First-Responder-Einsätzen über Bereitstellungs-RTW-Einsätze bei größeren Einsätzen der Feuerwehr bis eben zu Einsätzen der gesamten Schnelleinsatzgruppe. Gerade in letzterem Fall muss man davon ausgehen, dass eben tatsächlich ein größeres Schadensereignis vorliegt und personelle und materielle Ressourcen tatsächlich dringend benötigt werden.

Dazu gab es in den letzten Wochen leider einen entsprechenden Fall „bei uns“, den ich in dieser Form auch in den mehreren Jahren im Bereich des Sanitätsdienstes und der SEG nicht erlebt hatte.

SEG-Einsätze sind erstaunlich selten und normalerweise personaltechnisch unsererseits gut zu bewältigen – hier war es anders.

Nachts um 2, Regen, kalt, windig, Zimmerbrand mit Menschenrettung im Altenheim – meines Erachtens durchaus ein legitimer Grund, auf den „großen roten Knopf“ zu drücken und auch tatsächlich die SEGen des Landkreises zu alarmieren.

Das sahen außer mir allerdings nicht allzu viele andere Helfer so: von den rund 40 gelisteten aktiven Helfern…waren wir acht. Ein Fahrzeug blieb komplett unbesetzt, unser GW-San hatte keine volle Besetzung. Wenn wir da an das Pareto-Prinzip denken – 8 von 40 – kommen wir wieder auf die 20 %, an denen die Arbeit hängen bleibt. Und es waren genau diejenigen, die immer kommen, wenn sie können.

Auch wenn am Ende alles halb so dramatisch war, war dies ein Nicht-Leistungszeugnis unserer Schlagfertigkeit.

Sanitätsdienst

Eigentlich ist das ja das Kerngeschäft der Ortsvereine der Hilfsorganisationen schlechthin: die Sanitätsdienste.

Mehr oder minder ist ein Großteil der Mitglieder auch genau aus diesem Grund einst beigetreten – und sowohl innerhalb der Gliederungen, als auch in der Bevölkerung wird das „Pflaster kleben“ durchaus als die Hauptaufgabe des Ehrenamts im Sanitätsdienst gesehen.

Und trotzdem dauert es teilweise eine Ewigkeit, bis die Dienste besetzt werden können. Und auch hier finden sich immer wieder dieselben Namen – und auch hier sind es wieder die üblichen 20 %.

Es ist mitnichten so, dass es uninteressante Veranstaltungen sind; es ist mitnichten so, dass besonders hohe Qualifikationsanforderungen oder Personalstärken gefordert werden, es ist mitnichten so, dass die Sanitätsdienste zu unchristlichen Uhrzeiten oder besonders lange gehen.

Die Bereitschaftsleitung muss sich trotzdem oft „wundtelefonieren“, bis sich dann von den restlichen 80 % der Helfer jemand bereit erklärt, den Dienst zu übernehmen.

Das „Drumherum“

Neben den Kerngeschäft gibt es natürlich auch die übliche „Vereinsmeierei“ – und hier bietet sich so ziemlich das gleiche Bild.

Egal, ob es darum geht, das Vereinsheim wieder etwas auf Vordermann zu bringen, ob es um gemeinsame Übungen mit den Feuerwehren oder auf Kreisebene geht oder nur den obligatorischen Waffelverkauf auf den Weihnachtsmarkt – zu wenige, die mit anpacken; und es sind immer die gleichen, die „den Karren aus den Dreck ziehen“.

Das Problem im Gesamten

Letztendlich ist der Gedanke ja, dass jeder mit anpackt – und somit niemand zu viel Zeit und Energie in sein Ehrenamt investieren muss. Ein total guter Gedanke, wie ich finde. Er funktioniert nur leider nicht.

Langfristig führt das

  • dazu, dass die „inaktiven Aktiven“ sich darin bestätigt fühlen, dass es auch ohne sie läuft und das Engagement noch weiter abnimmt und
  • dazu, dass die „aktiven Aktiven“ irgendwann total überlastet sind, die Lust verlieren und dementsprechend entweder a) hinschmeißen oder b) selbst zu „inaktiven Aktiven“ werden.

Sobald es allerdings irgendetwas an Feiern, Ausflügen oder Grillabenden gibt, können erstaunlicherweise fast alle derer, die man sonst nicht sieht…

Woran liegt es?

Die spannende Frage ist ja immer das „Woran liegt es?“ – und ich glaube, dass es sich hierbei durchaus um ein hausgemachtes Problem handelt.

Die Denkweise „Man muss jedes Mitglied halten“ ist auf Ebene der Ortsvereine der Hilfsorganisationen immer noch sehr weit verbreitet. Und sie ist grundverkehrt.

Warum soll man ein Mitglied halten, dass effektiv nichts beiträgt? Warum soll man hundert Leute „auf dem Papier“ stehen haben, wenn man weiß, dass man realistisch maximal 30 zusammen bekommt?

„Geschönte Zahlen“ für die Kreisverwaltungen werden blitzschnell zum Bumerang. Spätestens dann, wenn es mal richtig kracht und irgendjemand fragen wird, wo denn die anderen 70 Helfer sind.

Man belügt damit sich selbst über die Leistungsfähigkeit des eigenen Vereins, man belügt damit letztendlich die Öffentlichkeit über die tatsächliche Leistungsfähigkeit ihres Katastrophenschutzes.

Ich habe schlichtweg den Eindruck, dass man schlichtweg Angst hat, „Karteileichen“ aus dem aktiven Dienst zu entfernen. Und das, obwohl es oftmals sogar verbindliche Regeln – zum Beispiel die Ordnung der Bereitschaften des DRK – gibt, die genau das vorschreiben: bei zu langer Inaktivität verliert man den Status als Mitglied der Bereitschaft. Punkt. Man ignoriert hier sogar festgelegte, verbandsinterne Regeln.

Zudem wird einfach viel zu wenig vermittelt, dass man als Mitglied nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten hat.

Das trifft zwar auf jeden Verein zu, im Gegensatz zum Schrebergartenverein hat es im Bereich des Sanitätsdienstes allerdings auch einen entsprechenden Hintergrund – insbesondere, weil im Gegensatz zur Feuerwehr hier keine offizielle „Verpflichtung“ der Helfer stattfindet.

Es ist ja kein Problem, wenn jemand „nur“ Sanitätsdienste machen möchte und nicht im Katastrophenschutz mitwirken will – das geht. Wer sich allerdings bereiterklärt, in den Schnelleinsatzgruppen mitzuwirken, muss sich im Klaren darüber sein, dass es auch „Ausrücken“ heißt, wenn der Melder geht.

In den Griff bekommen wird man das Problem meines Erachtens nur, wenn

  • man bereit ist, die geltenden Regeln umzusetzen und den Helfern auch aufzuzeigen, dass die Pflichten haben und bei Missachtung auch entsprechende Konsequenzen drohen und
  • man schlicht und ergreifend mehr „aktive Aktive“ gewinnt, die auch wirklich bereit sind, sich einzubringen

Zwanzig Prozent machen achtzig Prozent der Arbeit? Funktioniert nicht.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

DRK-Landesverband Rheinland-Pfalz e.V. (2013): Ordnung der Bereitschaften im DRK-Landesverband Rheinland-Pfalz e.V., abgerufen unter https://www.bildungsinstitut-rlp.drk.de/fileadmin/Download/Bereitschaften/HGA_Einsatz/UE_2_-_Ordnung_der_Bereitschaften_2013.pdf am 01.12.2023

SaniOnTheRoad (2023): Ein Blick auf’s Ehrenamt: Herausforderungen der Einsatzfrequenz, abgerufen unter https://saniontheroad.com/ein-blick-aufs-ehrenamt-herausforderungen-der-einsatzfrequenz/ am 01.12.2023

SaniOnTheRoad (2022): Ein Blick auf’s Ehrenamt: der Bereitstellungs-RTW, abgerufen unter https://saniontheroad.com/ein-blick-aufs-ehrenamt-der-bereitstellungs-rtw/ am 01.12.2023

SaniOnTheRoad (2022): Blick ins Ehrenamt: Qualifikation zum Sanitäter, Beitrag von David, abgerufen unter https://saniontheroad.com/blick-ins-ehrenamt-qualifikation-zum-sanitaeter/ am 01.12.2023

SaniOnTheRoad (2020): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 20: Ein Blick auf das Ehrenamt, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-20/ am 01.12.2023

SaniOnTheRoad (2020): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 28: First Responder, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-18/ am 01.12.2023

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Über SaniOnTheRoad

Das Pareto-Prinzip des Ehrenamts

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


2 Kommentare zu diesem Beitrag:

Danke, lieber Sani, für den „unangenehmen“ Bericht.
Dazu ein langer Kommentar zu mir – mit der Erfahrung, dass die 20 % der Aktiven auch manchmal schaden.

Vor ein paar Tagen habe ich mich aus einem (Freizeit-)Verein abgemeldet. Den Club „braucht niemand“, die Existenz (oder Nichtexistenz) wird kaum wahrgenommen.

Dem Grunde nach ist es dort kein Problem, wenn 8 oder 10 von 14 Menschen nur rumsitzen. Die „Rumsitzer“ stören (mich) aber durch Inaktivität, sie stützen die Dominanz der Aktiven.

In dem Fall handelt es sich leider – wie heute so oft – um eine vollkommen überalterte Struktur, deren Verständnis für die „arbeitende Bevölkerung“ nicht sehr ausgeprägt ist.
Ganztägige (!) Treffen am Samstag – leider der Wochentag des Arbeitenden Familienvaters für Tätigkeiten von Abfallentsorgung bis Zimmerstreichen – sind für mich nicht drin.
Im Club kommen zu den Samstagsaktivitäten die Vor- und der Nachbearbeitungsabende der Samstage, an denen ich dann auch nur „Rumsitzer“ (oder gleich abwesend) bin.
Damit bin ich an (mindestens) 6 von ca. 20 jährlichen Clubtreffen aufs Nebengleis gestellt.
Zusammen mit sonstigen Ausfällen von Krank über dienstliche oder familiäre Verpflichtungen bis Urlaub sind dann nochmal leicht 4 Treffen weg.
Summe 50 % weg, keine Chance auf eine eigene Stimme mit Gewicht für Änderungen => Schlussfolgerung: Abschied, eine Karteileiche weniger.

So machen leider aktive und dominante 20 % (auch und insbesondere die mit der ich-mache-das-schon-Mentalität: „Den Stand baue ich in einer Stunde auf, da muss nur noch jemand [unausgesprochen: 8 Stunden] die Waffeln backen“) die restlichen 80 % zu passiven Mitläufern und Karteileichen.

Hallo Red Sam,

vielen Dank für Deinen Kommentar! Du sprichst da sowohl die möglichen Ursachen für das „Endergebnis“ an, als auch „die andere Seite“. Wie Du schon geschrieben hast, liegen die Probleme oftmals tiefer – das können die Übermotivierten sein, die keine anderen Akteure neben sich dulden, eine schlechte Vereinsführung oder Anforderungen, die mit dem Alltag der Mitglieder unvereinbar sind.

Ein Mitgestalten ist natürlich dann schwer (bis unmöglich), wenn gleich mehrere dieser Faktoren zusammen kommen – und zugleich wird der Status Quo zementiert. Das mag in reinen Freizeitclubs schade sein, in anderen Bereichen des Ehrenamts allerdings zu einem kritischen Problem werden.

LG

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