Das jähe Ende eines FSJ

photo of man touching his head

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Freiwilligendienstleistende – egal, ob im FSJ oder im BFD – werden gerne, wie früher die Zivildienstleistenden, als „externe Wirbelsäule des Rettungsdienstes“ gesehen. Ein FSJ im Rettungsdienst ist nicht selten und oft der klassische Einstieg in die Arbeitswelt des Rettungsdienstes.

Sehr oft kann man das auch unterschreiben: die allermeisten FSJler und Bufdis, die wir in den vergangenen Jahren hatten, waren hochmotiviert, lernbereit und nicht selten die Grundlage für den Einstieg ins Hauptamt als Rettungssanitäter oder NotSan-Azubis.

Leider waren auch immer wieder mal „schwarze Schafe“ dabei – mit der Bandbreite von „harmoniert einfach nicht“ bis „untragbar“.

Recht kurze Zeit nach unserem Practicantus horribilis – ich berichtete – hatten wir das Vergnügen mit einem weiteren FSJler, der den Bogen weit spannte.

Der Background

Ein großer Teil unserer Freiwilligendienstleistenden hat vorher keine Beziehung zum Rettungs- oder Sanitätsdienst, sondern steht irgendwann auf der Matte. So war es bei mir. So war es auch bei ihm.

Nachdem er nach abgeschlossener Ausbildung schlichtweg arbeitslos war und entsprechend viel Zeit hatte, wurde die Hospitation für das FSJ von den üblichen drei Tagen zu einem zweiwöchigen Praktikum. Wenn auch überwiegend im Krankentransport.

Erster Eindruck: motiviert, lernbereit und nicht arbeitsscheu. Aber auch: Schwätzer und unzuverlässig. Alleine in dem Praktikum kam er drei Mal zu spät. Dies war mitunter der Tatsache geschuldet, dass er schlichtweg keinen Führerschein hatte; aber nicht ausschließlich.

Die Meinungen gingen durchaus weit auseinander, von „kein Problem“ bis zu „geht gar nicht“. Wachenleitung und Praxisanleiter waren sich durchaus unschlüssig, ob man ihm eine Chance geben soll – zumal auch noch zwei weitere FSJler nahezu zeitgleich anfangen würden.

Größte Kritikpunkte waren die Unpünktlichkeit, die unendliche Sprücheklopferei – und der fehlende Führerschein.

Nichtsdestotroz wurde nach langem hin und her entschieden, ihm die Chance zu geben und das FSJ zu ermöglichen.

Prompte Reue?

So wurde unser FSJler auf den Lehrgang geschickt, hat Klinik- und Wachenpraktikum absolviert – und in der Abschlusswoche kam dann die böse Überraschung: durchgefallen.

Das kann durchaus passieren und ist prinzipiell kein Problem.

Hier war es jedoch anders…

Ein großes Grundproblem entpuppte sich hier allerdings schon, und das war eine mehr als unvorteilhafte Charaktereigenschaft: unser angehender FSJler nahm es mit der Wahrheit nicht allzu genau – und er hatte unheimlich große Probleme, eigene Fehler einzugestehen.

Wenn alles klappte, war er der größte – lief etwas schief, war Gott und die Welt daran Schuld, nur er nicht.

So wurde versucht, das Scheitern in der Abschlusswoche auf die Rettungsdienstschule, die Dozenten oder die Prüfer zu schieben – und im Endeffekt hatte sich nichts davon bewahrheitet.

Nachdem man Zeit und Mühe in ihn investiert hatte, blieb quasi keine andere Wahl, als ihn einfach nochmal auf den Abschlusslehrgang zu schicken. Er war als „nur“ Rettungshelfer und ohne Führerschein sonst schlichtweg nicht einsetzbar.

Ab dem Zeitpunkt dominierte dann doch der Unmut in der Belegschaft, denn das Beugen der Wahrheit und fehlende Selbstreflexion schaffen kein gutes Vertrauensverhältnis – und die nach wie vor überschwängliche Sprücheklopferei machte es nicht besser.

Der eigentliche Beginn

Relativ kurze Zeit später kam dann auch die Wiederholung der Abschlusswoche und siehe da: er hatte bestanden. Die Zwischenzeit hatte er mit Diensten als „dritter Mann“ auf der Wache verbracht. Und mit Lernen.

Das FSJ konnte also beginnen. Aber mit erheblichen Einschränkungen. Den Führerschein – der für FSJler eigentlich eine fixe Einstellungsvoraussetzung ist – den hatte er immer noch nicht. Somit blieb für ihn nur der Einsatz auf dem einzigen KTW, den wir hatten. NKTW und RTW waren für ihn komplett gestrichen.

Die Kollegen

Die Kollegen der Wache waren alles andere als begeistert von der Situation. Eine „Extrawurst“ für einen Neuen, der noch nichts geleistet hat? Ausnahmen, die früher undenkbar waren? Die Tatsache, dass andere Rettungsdienstler ohne bzw. bei Verlust der Fahrerlaubnis keine Einstellung erhalten würden oder sogar die fristlose Kündigung droht, ließ hier einfach die Vermutung aufkommen, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Ein Geschmäckle hatte es jedenfalls.

Einen noch größeren Unmut war dann doch auch das Thema „Fahren“. Die Kollegen, die mit ihm eingeteilt wurden, mussten die komplette Schicht über fahren – acht Stunden unter der Woche, zwölf am Wochenende. Gerade in der „Landrettung“, wie wir sie haben, war das durchaus anstrengend.

Die fehlende Möglichkeit des Abwechselns barg auch einsatztaktische Probleme: Patienten, die mit einem erfahreneren Kollegen besser beraten gewesen wären, mussten so mit dem unerfahrenen FSJler vorlieb nehmen.

Das Verhalten

Manche lernen es einfach nicht.

Immer mehr zum Problem wurde dann aber auch das Verhalten des „Neuen“. Zwar war er immer noch motiviert, lernwillig und hat auch unbeliebte Aufgaben wie das Auskehren der Halle ohne Murren übernommen, viele andere Probleme blieben aber.

Scheinbar kannte er weder Maß noch Ziel im Umgang mit den Kollegen, noch seine Stellung in der (zugegebenermaßen) flachen Hierarchie der Wache. Er eckte mit Bemerkungen und Sprüchen ständig an; bestenfalls könnte man es als unreflektiert und lebensunerfahren bezeichnen, teilweise war es einfach das Überschreiten der Grenzen eines akzeptablen Umgangs. Viele Freunde gewann er dadurch nicht.

Die Diskrepanz zwischen „Anspruch“ und „Wirklichkeit“ war unterm Strich dann doch größer als ursprünglich gedacht. Er träumte von einem Leben als HEMS-TC und war zweifellos maximal von den eigenen Fähigkeiten überzeugt – auch wenn diese, wenn man mal nachgehakt hat, dann doch ziemlich weit von „erstklassig“ entfernt waren. Dann war er aber auch gerne eingeschnappt, wenn man diese Probleme vorgehalten hatte.

Die Unpünktlichkeit blieb, was mehrere Gespräche hinter geschlossener Bürotür zur Folge hatte. Krankmeldungen, obwohl er quietschfidel gesehen wurde.

Es musste einfach eine Lösung her. Die Belegschaft war sich einig und auch die Wachenleitung sah hier letztendlich rote Linien überschritten.

Der Führerschein

Hinsichtlich des Führerscheins hat sich dann relativ früh die Rettungsdienstleitung eingeschaltet und eine Frist gesetzt. Zur „Besänftigung“ konnte er zumindest eine Anmeldebestätigung vorlegen.

Fata viam invenient

Und irgendwann ereilte ihn dann das Schicksal – nach einem knappen halben Jahr FSJ.

Ihm wurde sein Resturlaub eingetragen, im Folgemonat war er nicht mehr im Dienstplan. In erster Linie hat er das vorzeitige Ende seines Freiwilligendienstes aus dem Dienstplan erfahren. Kurz vor Ende kam es dann zum „finalen Gespräch“.

Was war passiert?

Am Ende waren doch ziemlich viele verhaltensbedingte Beschwerden aus dem Kreise der Kollegen zusammengekommen, plus die Beschwerden über die Unpünktlichkeit.

Ausschlaggebend waren diese allerdings nicht. Auch der Führerschein an sich war nur mittelbar einer der Gründe. Er hatte schlichtweg gelogen – eine Anmeldung für den Führerschein gab es nicht, das Schreiben hatte er selbst aufgesetzt. Da war schlichtweg jeder gute Wille seitens Wachen- und Rettungsdienstleitung vernichtet, und die Bereitschaft des Landesverbandes, die „Hand drüber zu halten“, war beendet.

Freiwilligendienstleistende sind per se schwierig zu kündigen, da sie schlichtweg nicht bei der Einsatzstelle angestellt sind – sondern beim Träger des Freiwilligendienstes. Diese packen Freiwilligendienstleistende zwar nicht in Watte, wehren aber viele (auch unberechtigte) Einwände ab. Die Entscheidungsträger sind hier schlichtweg nicht die „Betroffenen“, die es ausbaden müssen, was die Angelegenheit deutlich verkompliziert.

Aus der Erfahrung kann man sagen: es muss sehr viel passieren, damit ein FSJler gekündigt wird.

Was dann noch rauskam…

Letztendlich wurde die Vermutung einiger Kollegen auf ganzer Linie bestätigt – der junge Mann hatte eine unglaubliche Vorgeschichte und trug mehr als ein Päckchen mit sich herum.

Vater langzeitarbeitslos, Mutter hält die Familie mit diversen Jobs als Reinigungskraft über Wasser – er selbst wurde nach der abgeschlossenen Ausbildung wegen eines Diebstahls gekündigt, er hatte mehrere Betrugsdelikte mit Sozialstunden und Schulden bei ehemaligen Freunden, wo er sich Geld geliehen, aber nie zurückgezahlt hat.

Bei der Feuerwehr – über die er auch gerne erzählte, insbesondere die Qualifikationen, die er alle hat (was lediglich Truppmann Teil 1 und BOS-Sprechfunker waren) – wurde er ebenfalls wegen eines Diebstahls aus der Wehr entfernt.

Alles im allem zeichnete sich das Bild einer völlig gescheiterten Existenz in sehr jungen Jahren ab, die mit Großspurigkeit und Wunschdenken versuchte, Anschluss zu finden – und offensichtlich nichts dazu gelernt hat.

Fazit

„Was soll man daraus lernen?“

Im Grunde genommen können neben den Einsteigern auch die Bestandskollegen und die Entscheidungsträger etwas lernen.

Für die Einstieger gibt es eigentlich wenig Überraschungen, was die Take-home-Message angeht: gesunder Menschenverstand, Ehrlichkeit (!), eine einigermaßen realistische Selbsteinschätzung und das Vermeiden von Sprücheklopfen und großspurigen Auftreten sind quasi ein Garant dafür, nahezu alle Probleme zu vermeiden.

Wenn man Dinge aus der Vergangenheit mit sich herum schleppt, sollte man unbedingt dafür Sorge tragen, dass diese gelöst sind – ansonsten wird einem die Vergangenheit zweifellos einholen, und das meist schneller, als einem lieb ist.

Es bekommt im Rettungsdienst jeder seine Chance – und die meisten auch eine zweite Chance, wenn sie notwendig ist. Wer allerdings denkt, auf dem Rücken der Gutmütigkeit und im Angesicht des Personalmangels dies auszunutzen, wird auch hier schnell und hart merken, wenn der Hammer fällt.

Ein paar Verhaltensregeln sollte man zweifellos beachten.

Für die Belegschaft der Wache kann man durchaus festhalten: man sollte jedem eine Chance geben und auch eine zweite Chance, wenn wirklich Fehler gemacht wurden und diese eingestanden werden. Es wurde hier teils mit Engelszungen, teils mit Unnachgiebigkeit versucht, die Situation zu verbessern und zu hoffen, dass unser nun ehemaliger FSJler etwas daraus lernt. So sollte es auch sein, wenngleich es in dem Fall bei fruchtlosen Versuchen blieb.

Die Entscheidungsträger haben dafür eine sehr wichtige Take-home-Message verdient:

Nehmt die Bedenken der Leute „an der Front“ ernst!

Insgesamt entstand während diesem halben Jahr der Eindruck, dass das nicht der Fall war – zumindest, was die Rettungsdienstleitung und den Träger des Freiwilligendienstes anging. Es wurde, jedenfalls gefühlt, unzureichend auf die gemeldeten Probleme reagiert.

Das Suggerieren einer „Narrenfreiheit“ verschlechtert die Situation nachhaltig – zum einen entsteht so der Eindruck, dass man sich alles erlauben kann; zum anderen führt es zur Frustration und Resignation der Mitarbeiter, die alles daran setzen, gute Arbeit abzuliefern.

Ein ordentliches Beschwerdemanagement ist Teil eines jeden Qualitätsmanagementsystems und muss gelebt werden. Nur wenn solche Aspekte auch konsequent in der Praxis funktionieren, kann man von einer guten Qualität sprechen – nicht, weil ein DIN EN ISO 9001-Aufkleber auf den Fahrzeugen prangt.

Quellen

SaniOnTheRoad (2022): Führerschein und Fahrerlaubnis im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/fuehrerschein-und-fahrerlaubnis-im-rettungsdienst/ am 07.07.2022

SaniOnTheRoad (2021): Der Practicantus horribilis, abgerufen unter https://saniontheroad.com/der-practicantus-horribilis/ am 07.07.2022

SaniOnTheRoad (2020): Qualitätsmanagement im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/qualitatsmanagement-im-rettungsdienst/ am 07.07.2022

SaniOnTheRoad (2020): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 22: Freiwilligendienste im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-22/ am 07.07.2022

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 5: Willkommen auf der Rettungswache, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-5/ am 07.07.2022

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 4: How to get started? Einstieg in den Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-4/ am 07.07.2022

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 2: Ausbildungen im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-2/ am 07.07.2022

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im klinischen Abschnitt des Studiums. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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