Die strukturierte Patientenübergabe im Rettungsdienst

Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.

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Die Übergabe eines Patienten gehört im Rettungsdienst zweifellos zum Tagesgeschäft – jeder Transport endet mit einer Übergabe, zudem gibt es darüber hinaus Übergaben an andere Rettungsmittel, den Notarzt, den Hausarzt, den ärztlichen Bereitschaftsdienst oder einen Pflegedienst.

Kurzum: wir machen in unserem Berufsalltag verdammt viele Übergaben.

Die Übergabe eines Patienten ist rechtlich wie auch medizinisch von überragender Wichtigkeit – rechtlich endet der Rettungsdiensteinsatz (und damit die Verantwortlichkeit) mit der Übergabe (siehe z.B. Landesrettungsdienstplan Rheinland-Pfalz), medizinisch bildet die Übergabe die Weitergabe von Informationen und damit auch die Grundlage für Behandlung und Behandlungspriorität.

Trotz recht hoher „Praxis“ in dem Thema wird manch einer feststellen: die meisten Übergaben des Rettungsdienstes sind Kraut und Rüben.

Am Ende greift auch hier wieder ein Begriff, der uns oft genug vor Problemen rettet: die Struktur!

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen, Sinn und Zweck der Patientenübergabe

Mit der Übergabe des Patienten verfolgen wir gleich mehrere Ziele:

  • Vermittlung notwendiger Informationen über den aktuellen Patientenzustand,
  • Vermittlung notwendiger Informationen über bereits getroffene (oder nicht getroffene) Therapiemaßnahmen,
  • Weitergabe von Informationen zwecks Patientensicherheit (Allergien, Medikamente, Vorerkrankungen…),
  • Ermöglichen von gezielten Rückfragen bei Unklarheiten oder fehlenden Informationen und damit letztendlich
  • Schaffung einer Entscheidungsgrundlage für den „Erstangriff“ der weiterbehandelnden Einrichtung.

Unterm Strich muss bei der Zusammenarbeit der Schnittstellen (hier: Präklinik – Klinik) darauf geachtet werden, dass alle notwendigen Informationen vermittelt werden und unnötige Informationen die Übergabe nicht belasten. Es geht also darum, den Informationsvorsprung an die weiterbehandelnde Einrichtung weiterzugeben.

Welche Ziele setzen wir für eine Übergabe damit voraus?

Eine gute Übergabe muss

  • kurz und prägnant sein,
  • alle relevanten Informationen beinhalten,
  • keine irrelevanten Informationen oder „Lückenfüller“ beinhalten und
  • strukturiert und standardisiert erfolgen.

Typische Störungsquellen einer Kommunikation gelten auch für die Patientenübergabe – und diese müssen maximal minimiert werden. Eine gedankliche Vorbereitung auf die Übergabe („Was sage ich?“) ist nicht nur im Sinne der Struktur absolut empfehlenswert, sondern vermeidet auch die ein oder andere peinliche Situation…

Grundlagen für eine gute Übergabe

  • grundsätzliche Beachtung der CRM-Grundsätze,
  • „Face-to-Face“-Übergabe mit möglichst allen an der unmittelbaren Versorgung beteiligten Personen
  • „Hands-off“ – keine Manipulation, kein Umlagern während der Übergabe,
  • Störquellen minimieren – einer redet, der Rest hört zu. Keine Telefonate oder sonstigen Gespräche während der Übergabe.
  • Möglichkeit für Rückfragen einräumen und
  • kurze Zusammenfassung der relevanten Punkte durch die annehmende Seite (wir denken an „Close-the-Loop“)

Den Punkt „möglichst alle an der Versorgung beteiligten Personen mit einbeziehen“ möchte ich nochmal hervorheben: Ziel ist es hier, die Zahl der Folgeübergaben zu vermindern. Mit jeder Folgeübergabe steigt das Risiko von relevanten Informationsverlusten und auch die Zahl schwerwiegender Komplikationen (siehe Saager et al., 2014).

Übergabeschemata für den Rettungsdienst

Damit das ganze standardisiert und strukturiert erfolgen kann, gibt es entsprechende Übergabeschemata – und zwar eine ganze Menge. Das Problem: praktisch alle sind im Rettungsdienst unbekannt oder werden schlichtweg nicht gelebt.

Bei den Übergabeschemata können universell einsetzbare, für bestimmte Schnittstellen zugeschnittene (Rettungsdienst – Notaufnahme) oder für die telefonische Voranmeldung prädestinierte Schemata unterschieden werden.

Ich kann nur dazu raten, sich ein oder maximal zwei Schemata rauszusuchen, diese zu lernen und anzuwenden. Ein ständiger Wechsel führt wiederum zu mehr Fehlern und Unsicherheit.

„Choose it, learn it, stick with it!“

Und, weil sich der Glaube bei einigen hartnäckig hält:

Den Patientennamen nennen und xABCDE-Befunde runter rattern ist keine strukturierte Patientenübergabe.

Im Folgenden möchte ich eine Auswahl gängiger, „rettungsdiensttauglicher“ Übergabeschemata vorstellen

SBAR/ISBAR

SBAR/ISBAR – Kurzübersicht

Einsatzbereich: Universell

Patientengruppe: alle Patientengruppen

Nutzung: Voranmeldung, Rettungsdienst – Notaufnahme, innerklinische Übergabe

SBAR mit diversen „Klonen“ und Varianten ist praktisch der „Goldstandard“ für Patientenübergaben – wird es doch gleichermaßen von WHO und DGAI als Übergabeschema empfohlen.

Als SBAR-Variante nutze ich gerne ISBAR – die Identifikation (Name, Alter) des Patienten wird hier vorangestellt.

Große Vorteile von SBAR als Übergabeschema ist die weite Verbreitung, die relative Einfachheit und die universelle Einsetzbarkeit. Ferner: SBAR kommt insgesamt sehr stark an die „intuitive“ Übergabe des Rettungsdienstes ran, was lernen und verinnerlichen deutlich vereinfacht.

Daher meine Empfehlung: wenn einem kein anderes Übergabeschema besser liegt – (I)SBAR.

I – Identification/IntroductionName und Alter des Patienten
S – SituationLeitsymptom, Verdachtsdiagnose
B – BackgroundGrund für Rettungsdienstalarmierung, Auffindesituation, Unfallmechanismus, Kinematik, SAMPLER
A – AssessmentxABCDE -> „Buchstabenprobleme“, relevante Vitalparameter, aktuelle Probleme, durchgeführte Maßnahmen
R – Recommendation/Risks/Request/Read backKurze Zusammenfassung durch den Annehmenden, wichtige Zusatzinformationen, Möglichkeit für Rückfragen, ggf. Empfehlungen
(I)SBAR-Schema.

ASHICE

ASHICE – Kurzübersicht

Einsatzbereich: Rettungsdienst – Notaufnahme

Patientengruppe: alle Patientengruppen

Nutzung: telefonische Voranmeldung,

ASHICE ist ein dediziertes Übergabeschema für die telefonische Voranmeldung für Patienten – und das ist auch der empfohlene Einsatzbereich.

Relevante Informationen werden hier kurz und knapp zusammengefasst – auch hier kann dank der relativen Einfachheit und großen Nähe zur „intuitiven Voranmeldung“ durchaus eine Empfehlung ausgesprochen werden.

Alternativ ist natürlich ein kurzes, knappes „(I)SBAR“ mit Ergänzung der voraussichtlichen Ankunftszeit eine Option.

A – AgeAlter des Patienten
S – SexGeschlecht des Patienten
H – HistoryArt des Notfalls, Alarmierungsgrund, Verdachtsdiagnose
I – InjuryVerletzungen; bei internistischen Patienten: besondere Befunde
C – ConditionxABCDE -> Buchstabenprobleme
E – Expected for ArrivalVoraussichtliche Ankunftszeit
ASHICE-Schema.

I-PASS/I-PASS the BATON

I-PASS/I-PASS the BATON – Kurzübersicht

Einsatzbereich: Universell

Patientengruppe: alle Patientengruppen

Nutzung: Rettungsdienst – Notaufnahme, innerklinische Übergabe

I-PASS stammt ursprünglich aus der Pädiatrie und wurde für innerklinische Patientenübergaben entwickelt – im Grunde genommen finden sich hier ähnliche Struktur und identischer Inhalt wie bei (I)SBAR.

Die Erweiterung des I-PASS-Schemas durch das Akronym „BATON“ vermittelt zusätzliche Informationen.

Große Stärke von I-PASS the BATON ist zweifellos die Ausführlichkeit – was aber auch zweifellos das größte Problem des Schemas darstellt. Als zehnteiliges Übergabeschema ist die Komplexität relativ hoch und Chronologie und Prägnanz leiden durchaus darunter.

I – IntroductionVorstellung des Personals mit Name und Funktion
P – PatientName und Alter des Patienten
A – AssessmentVerdachtsdiagnose, Leitsymptom, xABCDE -> Buchstabenprobleme
S – SituationAuffindesituation, Alarmierungsgrund, ggf. getroffene Maßnahmen und Verlauf
S – Safetysicherheitsrelevante Zusatzinformationen
the
B – BackgroundHintergründe, SAMPLER
A – Actionsgetroffene Maßnahmen
T – Timingzeitliche Folge
O – OwnershipÜbergang der Verantwortung auf den Annehmenden
N – NextUnmittelbar folgende nächste Schritte
I-PASS the BATON-Schema.

ATMIST/IMIST/IMIST-AMBO

ATMIST/IMIST/IMIST-AMBO – Kurzübersicht

Einsatzbereich: Rettungsdienst – Notaufnahme

Patientengruppe: Traumapatienten

Nutzung: Übergabe von Traumapatienten

Aus dem ursprünglichen „MIST„-Schema hervorgegangen sind die Varianten „ATMIST“ und „IMIST“ wie die Ergänzung „IMIST-AMBO“. Bei ATMIST wird anstelle der vollständigen Identifikation des Patienten lediglich das Alter genannt, zusätzlich auch der Unfallzeitpunkt.

Alle sind spezifische Übergabeschemata für den Bereich Rettungsdienst – Notaufnahme für Traumapatienten.

Vorteilhaft ist hierbei die hohe Spezifität der Informationen für die Traumaversorgung – nachteilig ist: für andere Patientengruppen sind diese Schemata weniger geeignet geeignet.

Die Ergänzung „AMBO“ erfolgt nach einer kurzen Pause und umfasst im Wesentlichen Teile des SAMPLER(S)-Schemas.

I – IdentificationName und Alter des Patienten
M – Mechanism of InjuryUnfallmechanismus
I – InjuriesFestgestellte Verletzungen
S – Signs and SymptomsxABCDE -> Buchstabenprobleme, relevante Vitalparameter, Symptome
T – Treatment/TrendsDurchgeführte Maßnahmen, Verlaufsbeschreibung
A – AllergiesAllergien
M – MedicationMedikamente des Patienten
B – BackgroundVorerkrankungen
O – Other InformationZusatzinformationen
IMIST-AMBO

ISOBAR

ISOBAR – Kurzübersicht

Einsatzbereich: Rettungsdienst – Notaufnahme

Patientengruppe: alle Patientengruppen

Nutzung: Voranmeldung, Rettungsdienst – Notaufnahme

ISOBAR wurde ursprünglich für die telefonische Voranmeldung entwickelt, wird allerdings auch für die „Face-to-Face“-Übergabe eingesetzt. Von der Grundstruktur ist es dem SBAR ähnlich, differenziert aber weiter.

ISOBAR ist einerseits umfassend, andererseits dennoch kurz und prägnant genug und logisch aufgebaut – auch hier ist eine recht große Nähe zur „intuitiven Übergabe“ vorhanden, was für das Erlenen vorteilhaft ist.

I – IdentificationName und Alter des Patienten, Vorstellung des Teams
S – SituationAlarmierungsgrund, Auffindesituation, Leitsymptom, Verdachtsdiagnose
O – ObservationsxABCDE -> Buchstabenprobleme, relevante Vitalparameter
B – BackgroundSAMPLER(S), Anamnese
A – Action PlanDurchzuführende Maßnahmen nach der Übergabe
R – Read back/RequestMöglichkeit für Rückfragen, kurze Zusammenfassung durch den Annehmenden
ISOBAR-Schema.

Fazit

Wir halten fest:

  • die Übergabe ist eine häufige Situation im Rettungsdienst und für die Patientensicherheit von erheblicher Wichtigkeit
  • eine Übergabe soll grundsätzlich strukturiert und standardisiert stattfinden
  • CRM-Grundsätze beachten, ruhige Umgebung schaffen, „Face-to-Face“-Übergabe mit möglichst allen Beteiligten, Rückfragen ermöglichen, „Close-the-loop“
  • Übergabeschemata nutzen – welches, ist zweitrangig. Choose it, learn it, stick with it!
  • Für die Unentschlossenen: mit (I)SBAR macht man nichts falsch!

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

InPASS – Institut für Patientensicherheit und Teamtraining GmbH (2021): CRM-Karte, abgerufen unter https://inpass.gmbh/p/crm-karten-kostenlos, am 22.12.2021

Gräff I. et al. (2020): Empfehlungen zum strukturierten Übergabeprozess in der zentralen Notaufnahme, Notfall Rettungsmed (2020), abgerufen unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s10049-020-00810-8.pdf am 22.12.2021. DOI: 10.1007/s10049-020-00810-8

Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake F. (2020): Notfallsanitäter Heute, 7. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3437462115. Hier erhältlich: https://amzn.to/3s8KEh5

Ministerium des Innern und für Sport RLP (2014): Landesrettungsdienstplan Rheinland-Pfalz, abgerufen unter https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/Rettungsdienst/Dokumente/2473-Landesrettungsdienstplan.pdf am 22.12.2021.

Rossi R. (2019): Konzepte für eine strukturierte Patientenübergabe, Notfall Rettungsmed 2020 · 23:93–98, abgerufen unter https://static-content.springer.com/pdf/art%3A10.1007%2Fs10049-019-0599-8.pdf?token=1640173860477–ccd494aaf2121de656d463c208e90ec7ba9d483da88833319563fe7513fc478d70941f9d60d9218754628f4437063873435f0dd802a1e1482444fbe1d86ae69a am 22.12.2021. DOI: 10.1007/s10049-019-0599-8

Rossi R. (2019): Zusätzliche Tabelle: Übergabekonzepte in der Notfallmedizin, Notfall Rettungsmed 2020 · 23:93–98, abgerufen unter https://static-content.springer.com/esm/art%3A10.1007%2Fs10049-019-0599-8/MediaObjects/10049_2019_599_MOESM2_ESM.pdf am 22.12.2021.

Saager L. et al. (2014): Intraoperative Transitions of Anesthesia Care and Postoperative Adverse Outcomes, Anesthesiology 2014; 121:695-706, abgerufen unter https://pubs.asahq.org/anesthesiology/article-pdf/121/4/695/265257/20141000_0-00013.pdf am 22.12.2021. DOI: 10.1097/ALN.0000000000000401

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 12: Strukturiertes Arbeiten und Schemata im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-12/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2020): 1.3 Rettungsdienstliche Schnittstellen, abgerufen unter https://saniontheroad.com/1-3-rettungsdienstliche-schnittstellen/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2020): 1.10 Verhalten im Einsatz, abgerufen unter https://saniontheroad.com/1-10-verhalten-im-einsatz/ am 03.02.2022

World Health Organization (2007): Communication During Patient Hand-Overs, Patient Safety Solutions | volume 1, solution 3, abgerufen unter https://www.who.int/patientsafety/solutions/patientsafety/PS-Solution3.pdf am 22.12.2021.

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Über SaniOnTheRoad

Die strukturierte Patientenübergabe im Rettungsdienst

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


5 Kommentare zu diesem Beitrag:

Gut einprägsame Akronyme sind oft lustig/absurd oder gar pervers – gerade das sorgt auch dafür, dass diese sich ohne großes Lernen gut einprägen.
Und manchmal passt es auch einfach wie die Faust auf’s Auge: z.B. bei den SHIT-Kriterien für instabile Patienten.

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