Wird der Rettungssanitäter zum „richtigen“ Beruf?

Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.

Inhaltsverzeichnis

Worum geht es eigentlich?

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Es ist so ein wenig das Gespenst, dass gerade in den letzten Jahren immer wieder durch den deutschen Rettungsdienst spukt: die „Aufwertung“ des Rettungssanitäters.

Die Aufwertung ist hier eindeutig auf den beruflichen Status zu beziehen – von der Qualifikation zur richtigen Berufsausbildung, von der Hilfskraft zu einer de-facto-Fachkraft.

Unabhängig von der gesetzlichen Lage wird auch durchaus auf Landesebene oder in regionalen Projekten daran gefeilt, wie verschiedene Konzeptideen für die Rettungssanitäterausbildung zeigen.

Der Rettungssanitäter hat – im Gegensatz zu den Rettungsassistenten damals und den Notfallsanitätern heute – keine bundesweit einheitliche, verbindliche Ausbildungs- und Prüfungsverordnung.

Es gibt auf bundesrechtlicher Ebene einerseits die „Empfehlungen für die Ausbildung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern vom 17. September 2008 des Ausschusses Rettungswesen“ sowie die aktuellere „Muster-APrV des Ausschusses Rettungswesen vom 11./12. Februar 2019“ – ansonsten obliegt es den einzelnen Bundesländern, verbindliche Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen zu erlassen, die in der Regel auf den bundesrechtlichen Empfehlungen beruhen.

Somit besteht zwar eine bundesrechtliche, gemeinsame Basis – die genaue Umsetzung der Qualifikation zum Rettungssanitäter obliegt aber den Bundesländern.

Nun aber brodelt es wieder mehr: die derzeitige Ampelkoalition will sich der Sache annehmen – und erwähnt explizit den Rettungssanitäter im Koalitionsvertrag. Um das Ganze so ein wenig einordnen zu können, werfen wir allerdings erstmal ein Blick auf die Entwicklung des Rettungssanitäters.

Ein kurzer historischer Abriss

© 2023 SaniOnTheRoad. Eigenes Werk.

Die Professionalisierung des Rettungsdienstes begann tatsächlich mit der Einführung des Rettungssanitäters im Jahr 1977 – damals waren es die Grundsätze für die Ausbildung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern des Bund-Länder-Ausschusses Rettungswesen, welche erstmals die Qualifikation zum Rettungssanitäter beschrieben haben.

Das war tatsächlich ein enormer Fortschritt für die fachliche Qualifikation des Rettungsdienstpersonals – der Rettungsdienst war ganz überwiegend bis fast ausschließlich ehrenamtlich, eingesetzt wurden Personen mit medizinischer Minimalausbildung – teils Sanitätshelfer, teils dedizierte Transportsanitäter, teils sogar nur Ersthelfer.

Mit 520 Stunden Ausbildung in Rettungsdienstschule, Klinik und Lehrrettungswache wurde die Arbeit im Rettungsdienst wesentlich aufgewertet – eine dreimonatige Ausbildung war so ziemlich das Maximum, was man einem Ehrenamtlichen tatsächlich zumuten konnte.

Dass die Qualifikation zum Rettungssanitäter allerdings schon damals den Entwicklungen des Rettungsdienstes nicht gerecht wurde, sieht man an der relativ zügigen Etablierung – zwölf Jahre nach Einführung des RS – des Rettungsassistenten als ersten, richtigen Beruf im Rettungsdienst.

Eine zweijährige Berufsausbildung – gedacht als klassischer, medizinischer Assistenzberuf – machte den Rettungssanitäter unmittelbar zur Nummer 2 in der rettungsdienstlichen Hierarchie.

Rettungssanitäter konnten allerdings – unter der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen – zum Rettungsassistenten „geadelt“ werden. Davon abgesehen wurde sowohl der Rettungssanitäter an sich, wie auch die gesammelte Praxiserfahrung auf Lehrgang und Praktikumszeit beim Rettungsassistenten angerechnet.

Die beiden Ausbildungen waren somit durchgängig und es für erfahrene Rettungssanitäter vergleichsweise einfach, den Weg zum Rettungsassistenten einzuschlagen.

Mit der Einführung des Notfallsanitäters als Nachfolgeberuf des Rettungsassistenten änderte sich das – die Ausbildungsdauer betrug nunmehr drei Jahre, eine Anrechnung des Rettungssanitäters und der gesammelten Praxiserfahrung war fortan nicht mehr möglich. Der Weg von der Hilfs- zur Fachkraft war nun wesentlich steiniger geworden und gerade für die „älteren“ Rettungssanitäter wurden die Aufstiegsmöglichkeiten nahezu ausradiert.

Was einerseits finanziell ein Problem war, war zugleich auch ein „Statusproblem“ – wer sich die dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter nicht „leisten“ kann (im Sinne von Einnahmeverlusten) und keinen der wenigen Teilzeit-Ausbildungsplätze erhalten kann, muss sein Leben als Rettungsdienstler als Hilfsarbeiter verbringen.

Und das nagt an dem Ego des ein oder anderen doch sehr – umso mehr wurden dann die erneut aufkommenden Diskussionen unmittelbar befeuert.

Die Grundlage und die Interpretationen

Tatsächlich gab es für die neu aufflammende Diskussion durchaus einen berechtigten Grund – auf Regierungsebene wurde der Rettungssanitäter erstmals offiziell in einem solchen Sinne erwähnt:

„Wir harmonisieren die Ausbildungen u. a. durch bundeseinheitliche Berufsgesetze für
Pflegeassistenz, Hebammenassistenz und Rettungssanitärer und sorgen für eine gemein-
same Finanzierung von Bund und Ländern. […]“

Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Bündnis 90/Die Grünen und den Freien Demokraten (FDP), Seite 82

Unabhängig davon, dass schon das Berufsbild „Rettungssanitäter“ falsch geschrieben wurde – ja, es steht wirklich „Rettungssanitärer“ im Koalitionsvertrag – war es für viele Kollegen Grund für die Schlussfolgerung: der Rettungssanitäter wird endlich zum richtigen Ausbildungsberuf. Es steht ja schließlich etwas zu Berufsgesetzen drin.

Dementsprechend wild wurde (und wird) spekuliert mit ziemlich weiten Interpretationen – denn einen Gesetzesentwurf gibt es Stand heute (10.02.2023) noch nicht.

Im Grunde genommen haben sich allerdings zwei Grundsatzthesen etabliert, die man im näheren durchaus betrachten kann – ich nenne sie mal die „Ausbildungsberuf-Hypothese“ und die „Hamonisierungs-Hypothese“.

Ausbildungsberuf-Hypothese

Letztendlich lässt sich diese These – welche in der Diskussion vorwiegend vorgebracht wird – simpel mit der Kernaussage

„Der Rettungssanitäter wird ein richtiger Ausbildungsberuf“

zusammenfassen. Fast immer wird hier eine Verlängerung der bisherigen Ausbildungsdauer – mal auf ein, mal auf zwei Jahre – angenommen; ebenso eine reguläre Ausbildungsvergütung mit relativer Entsprechung zu der von NotSan-Azubis.

Gleichbedeutend wäre hier entsprechend der Wegfall von „Selbstzahlerausbildungen“ als Einstieg in den Rettungsdienst. Keine „Pay-for-Training“-Mentalität mehr.

Je nachdem, wen man fragt, gehen die Interpretationen sogar noch weiter: manche nehmen eine automatische Anrechnung auf die NFS-Ausbildung an, manche sogar eine Regelkompetenz hinsichtlich invasiver Maßnahmen ähnlich zu § 2a NotSanG.

Kurzum: eine umfassende Aufwertung des Status – und bisweilen auch der Handlungskompetenzen – kennzeichnet diese Hypothese.

Die Harmonisierungs-Hypothese

Den Gegensatz zur Ausbildungsberuf-Hypothese bildet dann die „Harmonisierungs-Hypothese“. Kernaussage:

„Es bleibt de facto alles, wie es ist – es wird nur vereinheitlicht und anders geregelt“

Es wird hier üblicherweise angenommen, dass die Interpretation „Ausbildungsberuf“ sich aus dem Koalitionsvertrag nicht zuverlässig herleiten lässt. Stattdessen geht man primär von der Vereinheitlichung der Rettungssanitäterausbildung als primäres Ziel aus – zum Beispiel in der Form, dass die derzeitige „Muster-APrV“ auf Bundesebene zu einer unmittelbar bundesweit gültigen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung wird.

Sprich: die Regelung erfolgt direkt bundesrechtlich (und hat nicht mehr nur einen Empfehlungscharakter), landesrechtliche Verordnungen werden damit obsolet.

Eine Verlängerung der Ausbildungsdauer oder der Kompetenzen wird hier in aller Regel nicht erwartet.

Kurzum: Kennzeichen des Ganzen ist nur eine Vereinheitlichung der Regelungkeine Aufwertung im eigentlichen Sinne.

Einschätzung

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Auch wenn es mich selbst nicht „betrifft“ – das Thema wurde auch schon mehrfach an mich herangetragen und ich hatte Gelegenheit, mir einige Gedanken zu machen.

Ich kann den Wunsch nach „Anerkennung“ – und sei es nur der berufliche Status – von Rettungssanitätern durchaus nachvollziehen. Rettungssanitäter bilden praktisch das Personal des gesamten qualifizierten Krankentransports und ein wichtiger Teil der Notfallrettung als Assistenzkräfte.

In Anbetracht der gesellschaftlichen Bedeutung des „Berufs“ ist die Einordnung als Hilfsarbeiter durchaus zu hinterfragen.

Gleichermaßen vertrete ich die Meinung: man sollte schon einigermaßen realistisch bleiben, was die Erwartungshaltung angeht.

Und da sehe ich tatsächlich keinen Grund zur Annahme, dass die Aufwertung, die manche annehmen, tatsächlich kommen wird. Die Formulierungen dafür sind definitiv viel zu vage. Und die praktische Umsetzung würde mehr Schaden verursachen, als sie nützt….

Denn eine Aufwertung zu einer richtigen Berufsausbildung mit Steigerung der Ausbildungsdauer würde bedeuten, dass

  • Ehrenamt und Freiwilligendienste im Rettungsdienst nicht mehr möglich sein werden, die vielerorts eine unverzichtbare Stütze – und damit das klassische Entrée in den Rettungsdienst versiegt
  • Katastrophenschutzgesetze der Länder und des Bundes neu überdacht werden müssen – in zahlreichen Landeskonzepten sowie auch im Rahmen der MTF auf Bundesebene spielt der Rettungssanitäter eine erhebliche Rolle
  • neue Ausbildungskapazitäten geschaffen werden müssen – wobei gleichermaßen heute schon im Ausbildungsbereich ein oft eklatanter Personalmangel herrscht
  • die Finanzierung komplett überdacht werden muss
  • erneut ein „Fachkraft-Fachkraft-Dualismus“ auftritt, wie es bei Rettungsassistenten und Notfallsanitätern der Fall war (und noch ist).

Darunter sind schlicht und ergreifend Punkte, die tatsächlich gravierende und vor allem negative Auswirkungen auf die Struktur des Rettungsdienstes und des medizinischen Katastrophenschutzes hätten – und dies wird höchstwahrscheinlich von keinem Entscheidungsträger gewollt sein.

Ich vertrete daher eher die Harmonisierungs-Hypothese – einfach, weil hier weniger ausgedehnte Interpretationen notwendig sind; vor allem sind gravierende Probleme bei der Umstellung hier nicht erwartbar und die Umsetzung damit wahrscheinlicher.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Ausschuss Rettungswesen (2019): Empfehlung für eine Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern (RettSan-APrV) des Ausschusses Rettungswesen vom 11./12. Februar 2019, abgerufen unter https://saniontheroad.com/wp-content/uploads/2020/10/rettsan_aprv_11_12_februar_2019_1_.pdf am 10.02.2023

Bundesamt für Justiz (2021): Notfallsanitätergesetz vom 22. Mai 2013 (BGBl. I S. 1348), das zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 24. Februar 2021 (BGBl. I S. 274) geändert worden ist, abgerufen unter https://www.gesetze-im-internet.de/notsang/BJNR134810013.html am 10.02.2023

Bundesamt für Justiz (2020): Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter vom 16. Dezember 2013 (BGBl. I S. 4280), die zuletzt durch Artikel 2 der Verordnung vom 4. November 2020 (BGBl. I S. 2295) geändert worden ist, abgerufen unter https://www.gesetze-im-internet.de/notsan-aprv/BJNR428000013.html am 10.02.2023

Bundesamt für Justiz (2007): Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten vom 7. November 1989 (BGBl. I S. 1966), die zuletzt durch Artikel 20 des Gesetzes vom 2. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2686) geändert worden ist, abgerufen unter https://www.buzer.de/gesetz/3853/index.htm am 10.02.2023

Bundesregierung (2021): Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Bündnis 90/Die Grünen und den Freien Demokraten (FDP), abgerufen unter https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/1f422c60505b6a88f8f3b3b5b8720bd4/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1 am 10.02.2023

Buzer (2023): Gesetz über den Beruf der Rettungsassistentin und des Rettungsassistenten (Rettungsassistentengesetz – RettAssG) vom 10. Juli 1989 (BGBl. I S. 1384), welches am 31. Dezember 2014 (Art. 5 G vom 22. Mai 2013 (BGBl. I S. 1348, 1357) außer Kraft getreten ist, abgerufen unter https://www.buzer.de/gesetz/5656/index.htm am 10.02.2023

SaniOnTheRoad (2022): Shortcut: Rettungssanitäter-Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen, abgerufen unter https://saniontheroad.com/rettsan-aprv/ am 10.02.2023

SaniOnTheRoad (2021): Konzeptideen zum Rettungssanitäter, abgerufen unter https://saniontheroad.com/konzeptideen-zum-rettungssanitater/ am 10.02.2023

SaniOnTheRoad (2021): Wie unterscheiden sich die rettungsdienstlichen Ausbildungen?, abgerufen unter https://saniontheroad.com/wie-unterscheiden-sich-die-rettungsdienstlichen-ausbildungen/ am 10.02.2023

SaniOnTheRoad (2020): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 22: Freiwilligendienste im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-22/ am 10.02.2023

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 4: How to get started? Einstieg in den Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-4/ am 10.02.2023

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 2: Ausbildungen im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-2/ am 10.02.2023

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


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