„Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 11: Was muss ein Rettungssanitäter können?

„Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ bietet eine Übersicht über Aufbau, Struktur und Gepflogenheiten des Rettungsdienstes in Deutschland. Hier geht es um das, was Interessenten und Neueinsteiger wissen sollten.

Zu „Teil 10 – Wachenalltag und Einsatzalltag im Rettungsdienst“ geht es hier.

© 2021 SaniOnTheRoad. Eigenes Werk.

Teil 11 – Was muss ein Rettungssanitäter können?

Die Frage könnte man schlicht mit Verweis auf die Grundsätze des Bund-Länder-Ausschusses „Rettungswesen“, landesrechtliche Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen oder zumindest indirekt auf die Landesrettungsdienstgesetze beantworten.

Der Haken ist: eher wenig davon bildet die gelebte Realität ab – die tatsächlichen Anforderungen lassen sich schwer in einer Verordnung aufzeigen. Oder anders: die festgelegten Mindestanforderungen reichen nicht aus, um im Alltag als guter RettSan zu bestehen.

Ein Problem, dass ich zunehmend erkenne ist: viele RS-Praktikanten halten es für sinnvoll, möglichst viel auswendig zu lernen.

„Undetailliert verstanden“ ist meist sinnvoller als „bis ins letzte Detail auswendig gelernt, aber trotzdem keine Ahnung“.

– SaniOnTheRoad, aus einer meiner GF-Antworten

Das Lehrbuch auswendig lernen macht einem nicht zum Rettungssanitäter – erst recht nicht zu einem guten Rettungssanitäter. Im echten Rettungsdienstalltag ist „wissen, was man tut“ und besonders „wissen, warum man es tut“ wesentlich zielführender und essentieller, als den Pathomechanismus verschiedenster Erkrankungen auf intrazellulärer Ebene bis ins letzte Detail wiedergeben zu können.

Was wird von einem RettSan erwartet? Eine ganz allgemeine Betrachtung

Der Rettungssanitäter wird üblicherweise als Transportführer im qualifizierten Krankentransport und als Fahrer und Assistent in der Notfallrettung eingesetzt (mal mit Blick auf die Ausbildungen). Dementsprechend muss er diese Tätigkeiten beherrschen.

Im qualifizierten Krankentransport ist der RS „Chef auf dem Auto“ – heißt nichts anderes als: er muss die anfallenden Tätigkeiten selbst sicher beherrschen.

Das umfasst grundsätzlich mal das Erkennen medizinischer Probleme, die sachgerechte Behandlung bzw. Erstversorgung und auch das Anfordern höherqualifizierter Rettungsmittel, sofern dies notwendig ist und auch die Auswahl der Zielklinik nach vorliegendem Erkrankungsbild. Das umfasst selbstverständlich auch sämtliche lokale Verfahren, die Grenzen der eigenen Kompetenz kennen und die dazugehörige Dokumentation.

Patienten müssen sinnvoll und fachgerecht umgesetzt und – je nach Gesundheitszustand und akuter Erkrankung/Verletzung – gelagert werden. Hier geht es darum, wann man welche Möglichkeit warum nutzt. Sprich: Beherrschung der rettungsdienstlichen Basismaßnahmen.

In der Notfallrettung muss der Rettungssanitäter auch bei akuten, lebensbedrohlichen Gesundheitszuständen sicher und zügig zuarbeiten können.

Das setzt zum einen mal das Grundwissen voraus, welche Maßnahmen wann erforderlich sind, zum anderen auch wie diese durchgeführt werden. Anweisungen des höherqualifizierten Personals müssen – entsprechend der Kompetenzen – umgesetzt werden können.

Gemäß den TRM-Prinzip „Antizipiere und plane voraus“ sollte der Rettungssanitäter die absoluten Standards so gut beherrschen, dass diese auch ohne explizite Aufforderung ausgeführt werden.

Sicher beherrscht werden müssen unter anderem das Erheben sämtlicher Vitalparameter, die manuelle Blutdruckmessung, das Kleben eines 12-Kanal-EKG, sowie das Vorbereiten von Infusionen, einem venösen Zugang oder das Aufziehen verschiedener Medikamente.

Auch ein patientenschonender Fahrstil und eine gewisse Ortskenntnis sind unerlässlich.

Fachwissen

Das „wissen, was man warum tut“ ist auch beim Rettungssanitäter die wichtigste Anforderung. Und, wer hätte es gedacht, das setzt einfach ein entsprechendes Maß an Fachwissen voraus.

Eine Behandlung – egal, um welche es sich handelt – erfordert das Wissen, warum und wie sie in der konkreten Situation hilft. Sprich: eine passende Behandlung muss gefunden werden – Thema rettungsdienstliche Therapie.

Eine passende Behandlung kann man natürlich nur dann finden, wenn man weiß, was das zugrundeliegende Problem ist, welche Folgen es hat und wodurch es ausgelöst wird – Thema Pathophysiologie.

Der Knackpunkt ist: man muss ein Problem erst einmal erkennen,sei es durch Anamnese, körperliche oder apparative Untersuchungen. Man muss auch wissen, was davon sinnvoll ist – Themenbereich Diagnostik.

Damit man bei der Diagnostik erst einmal darauf kommt, dass ein Problem vorliegt, muss man den Normalzustand kennen. Eine Abweichung von Normwerten und daraus folgend die Unterscheidung in „behandlungsbedürftig“ und „nicht behandlungsbedürftig“ setzt voraus, dass man die Normalfunktion des Körpers genauso kennt wie die entsprechenden Normwerte – Themenbereich Anatomie und Physiologie.

Zu guter Letzt: man sollte sich während des Ganzen natürlich nicht „in die Brennnesseln setzen“. Die Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen, der örtlichen Strukturen und Gepflogenheiten sowie der Dokumentation runden das Ganze ab – Themenbereich Recht.

Sicher ist das hier keine 1-zu-1-Anleitung – sie zeigt aber, dass man aus mehreren Bereichen entsprechende Fähigkeiten braucht, um ein zufriedenstellendes Ergebnis erreichen zu können. Und es zeigt vor allem: Defizite in einem Bereich sind durchaus schwerwiegend, da das Wissen zweifelsohne aufeinander aufbaut.

Dementsprechend empfehle ich zum Lernen tatsächlich die Reihenfolge Recht – Anatomie und Physiologie – Diagnostik – Pathophysiologie – Therapie. Das Ganze sinnvollerweise zu jeweils kleineren Themen (Atmung, Kreislauf, Bewusstsein…) gegliedert.

Literaturempfehlung

Luxem J., Runggaldier K. (2022): Rettungssanitäter Heute, 5. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH.

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Thieme (2024): retten – Rettungssanitäter, 2. Auflage. Georg Thieme Verlag KG

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Böhmer R., Schneider T., Wolcke B. (2020): Taschenatlas Rettungsdienst, 11. Auflage. Böhmer & Mundloch Verlag.

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„Handwerkliche“ Fähigkeiten

Das sind die Dinge, die man selbst ausführt – sprich: man muss selbst Hand anlegen.

Dazu zählen

  • körperliche Untersuchung – wie man welche Organsysteme ohne und mit Hilfsmitteln untersucht (z.B. im Rahmen des xABCDE-Schemas) und welche Befunde „normal“ oder „nicht normal“ sind ist ein unbedingt notwendiger Skill
  • Apparative Diagnostik – die manuelle Blutdruckmessung (auskultatorisch und palpatorisch) muss beherrscht werden. Ebenso muss ein 12-Kanal-EKG sicher und korrekt geklebt werden können. Gängige Normwerte der Vitalparameter (Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung, Herzfrequenz, Blutdruck, Temperatur…) und Abweichungen davon müssen erkannt werden.
  • Wundversorgung – die Versorgung kritischer Blutungen (z.B. mittels Druckverband) muss ebenso beherrscht werden wie die von Bagatellverletzungen
  • Immobilisation – die Notwendigkeit einer Immobilisation muss erkannt werden und dementsprechende Schienungsmaßnahmen müssen sitzen
  • Sauerstoff – die Notwendigkeit einer Sauerstofftherapie muss erkannt werden und diese situationsgerecht durchgeführt werden.
  • Medikamente – es hier geht primär um das richtige Aufziehen und Vorbereiten (z.B. einer Infusion). Die wichtigsten Notfallmedikamente sollten jedoch mit Indikationsstellung, Kontraindikationen und Dosierung bekannt sein.
  • Reanimation – eine Reanimation nach aktuellen BLS-Algorithmus durchführen können ist absolute Pflicht. Im Sinne der Zuarbeit muss ebenso das entsprechende Können und Wissen erweiterter Reanimationsmaßnahmen nach ALS-Algorithmus vorhanden sein.
  • Technik – „kenne dein Auto“. Das bedeutet zum einen zu wissen, wo etwas liegt, zum anderen aber auch, wie es funktioniert. Selbsterklärend.
  • Fahren – eine gewisse Fahrpraxis ist eigentlich unerlässlich. Sicher, schonend und zügig fahren erfordert bisweilen einiges an Übung. Auch das ist unheimlich wichtig – ebenso eine entsprechende Ortskenntnis und eine sinnvolle Auswahl der Fahrstrecke (trotz Navi)

Grenzen der Kompetenz

Immer wieder ein „heißes Eisen“ – die Kompetenz, und besonders ihre Grenzen, im Falle des Rettungssanitäters. Das bezieht sich in erster Linie auf invasive Maßnahmen (wie z.B. das Legen eines venösen Zugangs), die unter Arztvorbehalt stehen.

Immer wieder gerne vorgebracht wird hier der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB – der es nach Ansicht mancher „erlaubt“.

Ist das nun so?

Ganz direkt: Nein – er erlaubt es nicht.

Der rechtfertigende Notstand ist – wie der Name schon vermuten lässt – ein Rechtfertigungsgrund und keine Erlaubnis. Das macht aus juristischer Sicht einen enormen Unterschied.

Bei einer Erlaubnis gibt es keinerlei Überschreitung der Kompetenzen – es ist eben erlaubt, und darf angewendet werden. Juristische Konsequenzen sind bei korrekter Einhaltung ausgeschlossen.

Bei einer Rechtfertigung erfüllt man dennoch einen (Straf)Tatbestand – lediglich bei vollständiger Erfüllung (!) der Rechtfertigungsvoraussetzungen bleibt es hier bei einer Straffreiheit. Ist die Erfüllung der Voraussetzungen nicht gegeben, macht man sich bisweilen strafbar und kann auch rechtskräftig verurteilt werden. Schwerwiegende rechtliche Folgen sind also schnell denkbar.

Wie ist es wirklich?

Am konkreten Beispiel: legt ein Rettungssanitäter ohne Delegation einen venösen Zugang, kann er sich bei gegebenen Voraussetzungen auf den rechtfertigenden Notstand berufen. Sind diese erfüllt, überschreitet er dennoch seine Kompetenzen, hat aber keine rechtlichen Folgen zu befürchten.

Die Voraussetzungen der Inanspruchnahme liegen allerdings sehr hoch – heißt

  • die invasive Maßnahme ist die am wenigsten invasive, geeignete Maßnahme – im Umkehrschluss: Basismaßnahmen und gering invasive Maßnahmen bringen keinen Erfolg,
  • es muss die Gefahr einer schweren gesundheitlichen Schädigung bestehen,
  • höherqualifiziertes Personal ist nicht oder nicht rechtzeitig verfügbar und
  • der Anwender ist in der Maßnahme geschult und beherrscht diese.

Spätestens ab dem letzten Punkt wird es für den Rettungssanitäter kritisch. Eine 520-h-Ausbildung ist in der allgemeinen Auffassung für invasive Maßnahmen als Ausbildung selten hinreichend.

„Beherrschen“ heißt auch wirklich „beherrschen“. Das umfasst die Aufklärung, die sachgerechte Durchführung, die Kenntnis und die Beherrschung von Komplikationen. Und vor allem eins: Routine. Und spätestens hier wird es für den Rettungssanitäter, der diese Maßnahmen nicht regelmäßig anwendet, eng.

Was ist die Empfehlung?

Ich empfehle Rettungssanitätern absolute Zurückhaltung bei der Anwendung von invasiven Maßnahmen und eine genaue Abwägung, ob nicht der zügige Transport in ein Krankenhaus oder die Nachforderung höherqualifizierter Rettungsmittel sinnvoller ist.

Das Risiko, dass die Rechtfertigungsgründe nach juristischer Prüfung nicht vorlagen, ist zu groß – und die Konsequenzen daraus zu schwerwiegend.

Wenn ein Rettungssanitäter sich zur Durchführung invasiver Maßnahmen entscheidet und sich auf den rechtfertigenden Notstand beruft, sollten – neben obligatorischer Erfüllung der obrigen Voraussetzungen –

  • umgehend RTW und ggf. NEF nachgefordert werden,
  • alle sinnvollen Basismaßnahmen erfolgt sein,
  • alle relevanten Vitalparameter ermittelt werden,
  • der Patient umfassend aufgeklärt werden (Rettungssanitäter, keine Regelkompetenz, Grund für die Anwendung, Durchführung, mögliche Komplikationen und Alternativen) und einwilligen und
  • der Patientenzustand, die Vitalparameter, die durchgeführten Maßnahmen, die Aufklärung und Einwilligung sowie die Verdachtsdiagnose genauestens dokumentiert werden.

Auch das ist keine 100%ige Sicherheit – sie grenzt das Risiko allerdings schon bedeutend ein.

Fazit

Wichtig für einen Rettungssanitäter ist somit

  • das Wissen, wie ein Mensch im Normalzustand „funktioniert“ und darauf aufbauend Erkrankungen und die Therapie ableiten zu können,
  • grundlegende Methoden zur Diagnostik sicher anwenden zu können,
  • sinnvolle Basismaßnahmen selbst ergreifen zu können,
  • im Rahmen der erweiterten Versorgung dem Notfallsanitäter oder Notarzt sinnvoll assistieren zu können,
  • das Fahrzeug und Medizinprodukte richtig bedienen können,
  • einen sicheren und schonenden Fahrstil an den Tag legen können sowie
  • Grenzen seiner eigenen Kompetenz und Fähigkeiten, der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Organisation des Rettungsdienstes kennen.

Im nächsten Teil folgt: ABCDE, SAMPLER und so weiter – Strukturiertes Arbeiten im Rettungsdienst

Interessenkonflikte

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Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Ausschuss Rettungswesen (2019): Empfehlung für eine Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern (RettSan-APrV) des Ausschusses Rettungswesen vom 11./12. Februar 2019, abgerufen unter https://saniontheroad.com/wp-content/uploads/2020/10/rettsan_aprv_11_12_februar_2019_1_.pdf am 02.02.2022

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im klinischen Abschnitt des Studiums. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.