Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.
Inhaltsverzeichnis
Worum geht es?
Es dreht sich um eine Diskussion, die seit Jahren immer mal wieder aufflammt und jüngst doch an Fahrt aufgenommen hat: eigentlich geht es um die Frage „Wie viel Notarzt brauchen wir wirklich?“.
Das Ganze wird beinahe schon ein Reizthema und in der Diskussion – die ganz überwiegend von der Rettungsdienstseite ausgeht – führt scheinbar zu nichts.
Irgendwie mutet es fast wie eine Show an, wenn Rettungsdienstler den Ärzten Standesdünkel vorwerfen und umgekehrt eine Profilneurose und Selbstüberschätzung.
Als jemand, der – als Notfallsanitäter und Medizinstudent – quasi zwischen beiden Welten steht, lohnt der Blick darauf doch doppelt.
Was ist passiert?
Wirklich neu ist die Diskussion an sich nicht – schon 2019 hat der Deutsche Berufsverband Rettungsdienst e.V. eine Stellungnahme für die Überarbeitung des Notarztindikationskatalogs verfasst, die im heutigen Vergleich schon nahezu „milde“ klingt.
Im November 2023 kam dann tatsächlich eine Novellierung des Notarztindikationskatalogs seitens der Bundesärztekammer – mit einem zumindest für eher progressiv eingestellte Kollegen unbefriedigenden Ergebnis. Eine gravierende Änderung in Bezug auf den Notarzteinsatz ergibt sich meist nicht, auch wenn die Aufteilung der Krankheitsbilder und die Beschreibungen doch etwas ausführlicher wurden.
Im Zuge dessen hat Anfang Januar 2024 der Deutsche Berufsverband Rettungsdienst e.V. einen eigene Handlungsempfehlung im Sinne eines „Notarzt-Indikationskatalogs“ herausgebracht – mit einem fast erwartbar gegenteiligen Ergebnis und einer sehr strikten (im Sinne von „sparsamen“) Primäralarmierung des Notarztes.
Beide Empfehlungen haben die Gemüter deutlich erhitzt.
Der Stand der Dinge & meine persönliche Meinung
Irgendwie…hat sich nicht wirklich etwas geändert.
Auffällig ist allerdings, dass es bei dieser Diskussion zunehmend weniger um die Sache geht – und damit das Patientenwohl.
Letztendlich handelt es sich sowohl bei der Bundesärztekammer als auch beim DBRD um berufsständige Interessenvertretungen. Vertreten werden beiderseits vorwiegend die eigenen Interessen.
Die Bundesärztekammer ist eine ärztliche Interessenvertretung – und ja, Ärzte haben durchaus ein Interesse am Notarztdienst und man will diesen auch nicht aufgeben. Dass hier eine „lukrative Einnahmequelle“ weg fällt, ist dann aber auch nur die halbe Wahrheit: Notarztdienste sind durchaus unbeliebt, weil sie im Regelfall eher mäßig bis schlecht vergütet werden.
Umgekehrt ist der DBRD die Interessenvertretung des nicht-ärztlichen Rettungsfachpersonals und vertritt insbesondere die Interessen der Notfallsanitäter – und das mit einer sehr progressiven Einstellung und mit einer teils sehr polemischen Art. Die Vorwürfe des Standesdünkels werden hier bisweilen zum Bumerang.
Ich finde: sowohl der ärztliche O-Ton mit „Ohne uns gibt’s keine Notfallmedizin“ als auch der rettungsdienstliche O-Ton mit „Wir kriegen das alles alleine hin“ sind sinnbefreit und gehen vor allem an der Realität vorbei.
Man muss feststellen: wir haben mit den Notfallsanitätern gut ausgebildetes Rettungsfachpersonal, welches einen umfangreichen Maßnahmenkatalog beherrscht (bzw. beherrschen sollte) und eine nicht zu unterschätzende Anzahl an Einsätzen problemlos abarbeiten kann und auch darf.
Man darf aber auch nicht verschweigen: auch der Kompetenz des Notfallsanitäters sind Grenzen gesetzt – und angesichts mancher Maßnahmen bewegt man sich schon heute in einem Bereich, wo es grenzwertig wird. Gerade bei seltenen Maßnahmen (wie bspw. der endotrachealen Intubation) wird sich kein Kollege auf die Fahne schreiben können, diese entsprechend der Leitlinie zu beherrschen.
Eine dreijährige Berufsausbildung ersetzt nun mal kein Medizinstudium, keine Facharztausbildung und keine klinische Erfahrung. Spätestens dann, wenn man mal beide Wege beschritten hat, wird man in der Regel doch etwas demütiger, was die Einschätzung der eigenen Kompetenz angeht.
Man muss feststellen: der Notarzt bringt im Idealfall ein breites medizinisches Wissen, klinische Erfahrung und Routine in besonderen Skills mit an die Einsatzstelle, von denen der Patient durchaus profitieren kann. Nichts davon schmälert die Kompetenz des Notfallsanitäters.
Man darf aber auch nicht verschweigen: bei weitem nicht jeder Notarzt lebt (und liebt) die Notfallmedizin, nicht jeder Notarzt erfüllt das erwartete Fähigkeitenspektrum zur Gänze, nicht jeder Notarzt ist routiniert und nicht jeder Notarzt kennt das Fähigkeitenspektrum des Rettungsdienstes.
Hinsichtlich vieler Punkte sehe ich durchaus einen Verbesserungsbedarf auch in der notärztlichen Ausbildung – seien es zertifizierte Kurse in allen „Standardthemen“ (z.B. ERC-ALS, AMLS, PHTLS…) als auch in den „speziellen“ Themen der präklinischen Notfallmedizin (man denke an chirurgischen Atemweg, Thoraxdrainage, maximal invasive Therapien wie ECMO…). Mehr Training – vor allem mehr gemeinsames berufsgruppenübergreifendes Training – würde hier schon einen Nutzen bringen, selbst ohne einen Facharzt für Notfallmedizin, über den seit Jahrzehnten diskutiert wird.
Der Notarztindikationskatalog der BÄK beschäftigt sich schlicht und ergreifend nur mit dem Notarzteinsatz. Es geht hier nicht um die Notfallsanitäter und deren Kompetenz, insofern halte ich diesen Teil der Diskussion für ein Kampf gegen Windmühlen. Und auch wenn an der ein oder anderen Stelle meines Erachtens durchaus Präzisierungsbedarf besteht (man denke z.B. an die Hyperthermie), ist der O-Ton durchaus klar: (Primär-)Alarmierung des Notarztes bei vital bedrohten Patienten.
Und ja, die Aussage, dass ein kritisch kranker oder verletzter Patient grundsätzlich mal auch eine ärztliche Versorgung an der Einsatzstelle und dem Transport verdient hat, unterschreibe ich.
Schaut man auf die Handlungsempfehlungen des DBRD, werden Empfehlungen für den Einsatz einer anderen Berufsgruppe getroffen, was insgesamt schon unglücklich ist und von manchem (sogar nachvollziehbarerweise) als anmaßend betitelt wird.
Schaut man darauf, was ein Notfallsanitäter entsprechend der Empfehlungen alles können und suffizient überbrücken soll, könnte man sagen: an manchen Punkten wird es mutig. Und ich stelle mir unwillkürlich die Frage, in welchem Rettungsdienst die Verfasser tätig sind, wo all das ohne jede Schwierigkeit und ohne Risiko tatsächlich so funktioniert.
Wenn wir einfach mal einen Blick auf die Realität werfen, sieht das Bild dann doch wieder anders aus…
Notfallsanitäter, die schon vor einer Analgesie zurückschrecken, die jeden zweiten i.v.-Zugang bei guten Venenverhältnissen verhauen, an einer Notfallinterpretation eines EKG scheitern, dem anaphylaktischen Schock die – im Rahmen einer dreijährigen Vollausbildung erlernte und lokal freigegebene (!) – intramuskuläre Adrenalingabe mit der Begründung „Ich habe mich nicht getraut“ vorenthalten…sind definitiv nicht so selten, dass man von „Ausnahmefällen“ sprechen kann.
Wie die Einsatzpraxis aussehen kann, zeigen z.B. Berichte wie dieser.
Siehe auch
Diese Empfehlungen (im Sinne von „hohen Hürden für die Primäralarmierung“) wären meines Erachtens dann vertretbar, wenn der Rettungsdienst wirklich in der Fläche und in der Praxis den Leistungsstand hätte, den die dreijährige Vollausbildung zum Notfallsanitäter vermittelt. Dazu bräuchte es auch bundesweit einheitliche Vorgaben und Algorithmen, um überhaupt einen gleichbleibenden Versorgungsstandard zu gewährleisten. Das ist derzeit einfach nicht der Fall.
Aus meiner Sicht muss es um die Sache gehen: und das ist schlicht das Benefit für den Patienten im Sinne einer bestmöglichen Versorgung. Und da sehe ich als Notfallsanitäter den regelhaften Einsatz eines Notarztes bei vital bedrohten Patienten definitiv noch vonnöten.
Hier ist einfach kein Platz für Standesdünkel, egal von welcher Seite sie kommen mögen. Auch wenn der Grundsatz „Rettungsdienst ist Teamarbeit“ althergebracht ist, gilt er immer noch. Etwas mehr Blick auf die rettungsdienstliche Wirklichkeit, etwas weniger Polemik und deutlich weniger rettungsdienstliche Profilneurose wären aus meiner Sicht wirklich angebracht.
Interessenkonflikte
Der Autor ist Mitglied des Deutschen Berufsverbands Rettungsdienst e.V. (DBRD). Eine Einflussnahme auf diesen Beitrag ist dadurch nicht erfolgt.
Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Quellen
Bundesärztekammer (2023): Empfehlungen für einen Indikationskatalog für den Notarzteinsatz, abgerufen unter https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Themen/Medizin_und_Ethik/2023-11-23_Bek_BAEK_NAIK.pdf am 17.01.2023
Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (2024): Notarztindikationskatalog des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst e. V. (DBRD) als Handlungsempfehlung für Disponenten in Rettungsleitstellen, abgerufen unter https://www.dbrd.de/images/stellungnahmen/2024/01-01/DBRD_NAIK_20240113.pdf am 17.01.2024
Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (2019): Stellungnahme des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst e.V. (DBRD) zum Indikationskatalog für den Notarzteinsatz, abgerufen unter https://www.dbrd.de/images/stellungnahmen/2019/DBRD_Stellungnahme_Indikationskatalog_Notarzteinsatz_20190513.pdf am 17.01.2024
SaniOnTheRoad (2023): Führen wir noch die richtigen Diskussionen?, abgerufen unter https://saniontheroad.com/fuehren-wir-noch-die-richtigen-diskussionen/ am 17.01.2024
SaniOnTheRoad (2023): Bitte. Denk. Noch. Einmal. Nach., abgerufen unter https://saniontheroad.com/bitte-denk-noch-einmal-nach/ am 17.01.2024
SaniOnTheRoad (2022): Die rettungsdienstliche Profilneurose, abgerufen unter https://saniontheroad.com/die-rettungsdienstliche-profilneurose/ am 17.01.2024
SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 9: Der Notarzt im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-9/ am 17.01.2024
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