Heilkundliche Maßnahmen für Notfallsanitäter – Update Januar 2021

Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.

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Was bisher geschah…

Nach der Genehmigung zur Ausübung heilkundlicher Maßnahmen bei einer „epidemischen Lage nationaler Tragweite“ im Frühjahr des Jahres 2020 kamen mitunter mehrere Gesetzesvorschläge in unterschiedlicher Form auf den Tisch.

Der letzte Gesetzesentwurf („Entwurf eines Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in
der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze
„, kurz MTA-Reform-Gesetz) behandelt in Artikel 12 auch das Notfallsanitätergesetz.

Kernformulierung war (und ist) der geplante, verheißungsvolle Paragraph „2a“ mit dem schönen Titel: Eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen durch Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter.

Der Wortlaut ist bereits bekannt:

„(1) Bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder bis zum Beginn einer
weiteren ärztlichen, auch teleärztlichen Versorgung, dürfen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter heilkundliche Maßnahmen, einschließlich von heilkundlichen Maßnahmen invasiver Art, dann eigenverantwortlich durchführen, wenn

1. sie diese Maßnahmen in ihrer Ausbildung erlernt haben und beherrschen,

2. die Maßnahmen jeweils erforderlich sind, um Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden von der Patientin oder dem Patienten abzuwenden,

3. für die vorzunehmende Maßnahme in der konkreten Einsatzsituation standardmäßige Vorgaben für das eigenständige Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und -situationen nach § 4 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe c
a) nicht vorliegen oder
b) zwar vorliegen, aber von der Notfallsanitäterin oder dem Notfallsanitäter nicht
eigenständig durchgeführt werden dürfen, und

4. eine vorherige Abklärung durch eine Ärztin oder einen Arzt unter Berücksichtigung des Patientenwohles nicht möglich ist.


(2) Das Bundesministerium für Gesundheit entwickelt Muster für standardmäßige
Vorgaben für das eigenständige Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und -situationen nach § 4 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe c. Bei der Entwicklung der Muster für standardmäßige Vorgaben sind die Länder zu beteiligen. Die entwickelten Muster für standardmäßige Vorgaben werden vom Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 im Bundesanzeiger bekannt gemacht.“

Deutscher Bundestag: Entwurf eines Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze (MTA-Reform-Gesetz), Drucksache 19/24447

Gerade die schwammige Formulierung von § 2a Abs. 1 Nr. 4 – sprich die vorherige ärztliche Abklärung – kann zu mehr Rechtsunsicherheit führen und wirkt zumindest in Teilen einfach praxisfern.

Aus diesem Grunde wurde die angestrebte Änderung sowohl durch den DBRD, ver.di, Leistungserbringer im Rettungsdiesnt, den Bundesländern und der Bundesärztekammer als auch durch die Bundesratsausschüsse (Drucksache 562/1/20) abgelehnt.

Was ist nun mit der Heilkunde?

Am 28. Januar 2021 kam es dann – nachdem der Ausschuss für Gesundheit der angestrebten Änderung im Sinne des Rettungsdienstpersonals zugestimmt hat – zur zweiten und dritten Lesung des MTA-Reform-Gesetzes im Bundestag.

Und diesem wurde…zugestimmt! Damit findet erstmals in der Geschichte des deutschen Rettungsdienstes die rechtliche Berücksichtigung heilkundlicher Maßnahmen durch Rettungsfachpersonal in einem Gesetz wieder.

Unter der Voraussetzung, dass auch der Bundesrat (Sitzung am 12. Februar 2021) zustimmt und der Bundespräsident das Gesetz unterschreibt, heißt es: Die Heilkunde für Notfallsanitäter ist beschlossen.

Und zwar in einer sehr brauchbaren Form, wie ich finde:

(1) Bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder bis zum Beginn einer weiteren ärztlichen, auch teleärztlichen Versorgung, dürfen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter heilkundliche Maßnahmen, einschließlich heilkundlicher Maßnahmen invasiver Art, dann eigenverantwortlich durchführen, wenn

1. sie diese Maßnahmen in ihrer Ausbildung erlernt haben und beherrschen,

2. die Maßnahmen jeweils erforderlich sind, um Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden von der Patientin oder dem Patienten abzuwenden.“

Entwurf des neuen § 2a NotSanG

Was bedeutet das für die Praxis?

Verstöße gegen den Heilkundevorbehalt werden zukünftig – unter Beachtung der Indikation und Beherrschung der Maßnahme – für den Notfallsanitäter keine Rolle mehr spielen. Ein riesengroßer Punkt der Rechtsunsicherheit in der rettungsdienstlichen Tätigkeit kann damit zu den Akten gelegt werden. Endlich wird die vielerorts bereits gelebte Realität auch im Gesetz berücksichtigt.

Dem Notfallsanitäter wird nun aber auch eine entsprechende Verantwortung zuteil – wie schon früher erwähnt: wer handelt, trägt auch die Verantwortung. Und: man kann nur das machen, was man auch kann.

Gerade der Punkt der „Beherrschung von Maßnahmen“ bietet durchaus Angriffspunkte – zum einen durch die hohe Anforderung, zum anderen durch fehlende Definitionen. Wann „beherrscht“ man nun eine Maßnahme?

Allerdings ist die Fähigkeit zur korrekten Anwendung – auch vollkommen ohne Kontext – eine absolute Grundvoraussetzung, es überhaupt anwenden zu dürfen. Es sollten demnach (hoffentlich) keine Kollegen auf die Idee kommen, die nun gegebene Kompetenz gar maßlos zu überschreiten.

Kein Notarzt mehr?!

Nein – der Notarzt bleibt uns selbstverständlich erhalten.

Der § 2a entbindet nicht von der Notarztnachforderung – denn er bezieht sich zum einen auf „akute Lebensgefahr“ oder „wesentliche Folgeschäden„, was im Allgemeinen meist schon Notarztindikationen sind und damit die Nachforderung obligatorisch. Zum anderen ist er zeitlich ganz eindeutig „bis zur ärztlichen Abklärung“ beschränkt.

Es handelt sich hier also primär um eine „Freigabe“ der 1c)-Maßnahmen – andere Maßnahmen, die außerhalb akuter Lebensgefahr stattfinden, bleiben als „2c)-Maßnahmen“ dem Gusto der ÄLRD und der Vorabdelegation per SOP vorbehalten.

Update vom 12.02.2021

Die Heilkunde für Notfallsanitäter ist beschlossene Sache.

Mehr dazu im Beitrag „Rechtssicherheit für Notfallsanitäter ist Gesetz: Heilkundliche Maßnahmen für Notfallsanitäter – Update Februar 2021„.

Quellen

Bundesrat (2020): Empfehlungen der Ausschüsse zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze (MTA-Reform-Gesetz) vom 26. Oktober 2020; Drucksache 562/1/20; abgerufen von https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0501-0600/562-1-20.pdf?__blob=publicationFile&v=1 am 30.01.2021

Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (2021): Rechtssicherheit für Notfallsanitäter kommt, abgerufen unter https://dbrd.de/index.php/aktuell/aktuelles/558-rechtssicherheit-fuer-notfallsanitaeter-kommt am 30.01.2021

Deutscher Bundestag (2020): Entwurf eines Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze (MTA-Reform-Gesetz) vom 18.11.2020, Drucksache 19/24447;abgerufen von https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/244/1924447.pdf am 30.01.2021

SaniOnTheRoad (2020): Der NotSan, das Heilpraktikergesetz und die Regelkompetenz; abgerufen unter https://saniontheroad.com/der-notsan-das-heilpraktikergesetz-und-die-regelkompetenz/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2020): Heilkundliche Maßnahmen für Notfallsanitäter – Update Dezember 2020; abgerufen unter https://saniontheroad.com/heilkundliche-masnahmen-fur-notfallsanitater-update-dezember-2020/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2020): Heilkundliche Maßnahmen für Notfallsanitäter – Update Oktober 2020; abgerufen unter https://saniontheroad.com/heilkundliche-masnahmen-fur-notfallsanitater-update-oktober-2020/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2020): Heilkundliche Maßnahmen für Notfallsanitäter – Update September 2020; abgerufen unter https://saniontheroad.com/heilkundliche-masnahmen-fur-notfallsanitater-update-september-2020/ am 03.02.2022

S+K-Verlag (2021): Nächste Runde im Notfallsanitäter-Kompetenzgerangel; abgerufen unter https://www.skverlag.de/rettungsdienst/meldung/newsartikel/naechste-runde-im-notfallsanitaeter-kompetenzgerangel.html am 30.01.2021

S+K-Verlag (2021): Ist der neue § 2a NotSanG ein Etappenziel?; abgerufen unter https://www.skverlag.de/rettungsdienst/meldung/newsartikel/ist-der-neue-2a-notsang-ein-etappenziel.html am 30.01.2021

S+K-Verlag (2021): Ist der neue § 2a NotSanG ein Placebo des Gesetzgebers?; abgerufen unter https://www.skverlag.de/rettungsdienst/meldung/newsartikel/ist-der-neue-2a-notsang-ein-placebo-des-gesetzgebers.html am 30.01.2021


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Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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