Personalmangel im Rettungsdienst

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Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.

Inhaltsverzeichnis


Das Problem „Personalmangel“

Der Personalmangel im Rettungsdienst ist wahrlich kein neues Thema – die Personalproblematik war durchaus schon ein Thema, bevor der generelle Fachkräftemangel ein Thema war. Und eigentlich gibt es wenig neues zu berichten. Oder?

Das Problem des Personalmangels hat sich im Laufe der Jahre deutlich verändert und ist vor allem lokal hochgradig unterschiedlich ausgeprägt. Während einerseits mit Prämien, Boni und übertariflichen Leistungen händeringend um Personal geworben wurde (und z.T. noch wird), werden an anderen Stellen Verträge einfach auslaufen gelassen.

Als ich Mitte der 2010er frisch nach dem Abitur in den Rettungsdienst eingestiegen bin, „war die Welt noch in Ordnung“ – jedenfalls aus Arbeitgebersicht. Rettungsassistenten hatten zum Teil nur Verträge als Rettungssanitäter und mussten teilweise Anfahrtswege von über 50 Kilometern in Kauf nehmen, um arbeiten zu können. Verträge gab es nur als Zeitverträge über ein oder zwei Jahre und wer die Befristung loswerden wollte (oder auf den RTW kommen wollte), musste sich ins Zeug legen.

Ein Ausfallmanagement gab es nicht und man brauchte es auch nicht. Zum einen gab es einen recht großen Pool an Ehrenamtlichen, die gerne eingesprungen sind – zum anderen waren gerade die befristet angestellten Kolleginnen und Kollegen gerne bereit, noch einen Dienst extra anzunehmen und Pluspunkte für die Übernahme zu sammeln.

Aber dann kam „der Knick“, auch bei uns. Und die Problematik des Personalmangels wurde auch bei uns sehr schnell sehr deutlich und hielt auch über eine lange Zeit an. Woran lag es?

Ursachen

Eigentlich scheint es fast schon paradox, dass der Personalmangel über die Jahre durchaus gravierender wurde – die Zahl der Beschäftigten im Rettungsdienst ist von 2012 bis 2021 von 50.000 auf 85.000 kontinuierlich gestiegen.

Worin liegen also die Ursachen?

Am naheliegensten ist natürlich einfach der gestiegene Personalbedarf – insgesamt steigt die Vorhaltung von Rettungsmitteln einfach kontinuierlich an, was einen erheblichen Teil des Personalbedarfs erklärt. Zum anderen wird die Arbeitszeit zunehmend reduziert und 24-Stunden-Schichtmodelle sind vielerorts den 12-Stunden-Schichten gewichen, was ebenfalls einen erhöhten Personalbedarf erklärt.

Zum anderen hat der Rettungsdienst eine – fast schon traditionell – hohe Fluktuation. Ein großer Teil der Rettungsdienstler bleibt schlichtweg nicht ewig im Rettungsdienst. Ein nicht unerheblicher Anteil plant ohnehin nicht, dauerhaft zu bleiben und nutzt die Arbeit im Rettungsdienst nur zur „Überbrückung“ bis zu einem Studium oder einer anderen Tätigkeit (z.B. Freiwilligendienstleistende, Aushilfen); während ein anderer Teil schlicht in andere Positionen oder Bereiche des Gesundheitswesens wechselt oder ganz was anderes macht.

Eine langfristige Mitarbeiterbindung im Rettungsdienst gelingt doch eher selten: die Arbeitswelt Rettungsdienst hat schlichtweg Schattenseiten, die den meisten irgendwann zu denken geben und für nicht wenige ein Grund sind, die Jacke – zumindest im Hauptberuf – an den Nagel zu hängen. Mangelnde Wertschätzung, Förderung und Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des Rettungsdienstes sind für viele das Motiv, den Rettungsdienst zu verlassen.

Als „Sonderform“ der Fluktuation kann man das „Brain-Drain im Rettungsdienst“ sehen, über das ich in einem früheren Beitrag schon einmal berichtet hatte. Die Abwanderung von Leistungsträgern trifft den Rettungsdienst besonders hart – zum einen natürlich, weil sie unmittelbar fehlen, zum anderen, weil sie nur schwer und nur langfristig zu ersetzen sind.

Der große „Knick“ des Personalmangels kam schlichtweg ein paar Jahre nach Einführung der Notfallsanitäterausbildung. Die Ausbildungsplätze waren hochgradig begrenzt, die Ausbildung dauert ein Jahr länger als die des Rettungsassistenten, und der große Teil der Rettungsassistenten, die die Ausbildung als Selbstzahler absolviert und fast „kostenneutral“ fertig ausgebildet an die Türen der Leistungserbringer geklopft haben, fiel komplett weg.

Die Fluktuation im Allgemeinen und das Brain-Drain im speziellen blieb aber konstant. Die Rettungsdienste sind in Hinblick auf die Fachkräfte einfach „ausgeblutet“ – es gingen mehr Rettungsassistenten und Notfallsanitäter weg, als nachkamen. Die Bequemlichkeit der Leistungserbringer hat sich innerhalb recht kurzer Zeit bitter gerächt. Und da fing, zumindest meines Erachtens, die Misere in der Fläche an.

Die Einführung eines Ausfallmanagements war die Folge – welches in seiner ersten Ausgestaltung die Arbeitsbedingungen nochmals unattraktiver gemacht hatte – und man warf ziemlich schnell mit unbefristeten Arbeitsverträgen um sich. Die Folge war, dass am Ende Leute auf dem RTW saßen, die einfach noch nicht so weit waren und teils vollkommen überfordert waren. Das hat die Stimmung auf den Wachen auch nicht verbessert.

Spätestens zu den COVID-Hochzeiten mit entsprechend großen, krankheitsbedingten Personalausfall waren 100 vakante Dienste pro Monat eher die Regel, als die Ausnahme. Und trotz aller Bemühungen mussten zumindest im Krankentransport Fahrzeuge abgemeldet werden, in der Notfallrettung ist dies mit Ach und Krach vermieden worden.

Umso erstaunlicher ist es, dass es über all die Jahre hinweg eine Sache nicht gab: einen Bewerbermangel. Gerade für die Notfallsanitäterausbildung übersteigen die Bewerbungen anhaltend die Zahl der verfügbaren Plätze, und zwar deutlich. Das Mantra, dessen ich nicht überdrüssig werde „Zehn Bewerbungen pro Ausbildungsplatz sind die Regel, nicht die Ausnahme“ stimmte (jedenfalls im Falle unserer GmbH) über all die Jahre hinweg. Wir hatten einen Fachkräftemangel ohne Bewerbermangel. Das Flaschenhalsproblem der Berufsfachschulen hat hier einfach verhindert, dass man mehr ausbilden kann.

Wie problematisch ist das Problem?

Heute könnte man sagen, dass das Problem – zumindest im Falle unserer Rettungsdienst-GmbH – kein Problem mehr darstellt. Das ist vielleicht übertrieben optimistisch; es stellt zumindest kein akutes Problem mehr dar.

Bei uns gibt es rund 300 Planstellen im Rettungsdienst, und zum ersten Mal, seit ich hier arbeite, sind sie alle besetzt.

Seit gut drei Monaten gibt es einfach keine vakanten Dienste mehr, die ausgeschrieben werden und selbst die Kollegen, welche Ausfallbereitschaft haben, bleiben in guter Regelmäßigkeit zuhause. Man geht sogar noch weiter: Zeitverträge – die derzeit ausschließlich Rettungssanitäter betreffen – werden nicht mehr verlängert. Einstellungsstopp.

Wie kommt es dazu?

Das ist eine hervorragende Frage, gerade in Anbetracht dessen, dass woanders der Rettungsdienst auf dem Zahnfleisch geht (denken wir einfach mal an den Rettungsdienst in Berlin).

Beeindruckend ist an dieser Stelle auch, dass seitens der Führungsebene keine Kunststücke vollführt werden mussten, um die Personalsituation in den Griff zu bekommen. Ein eher mittelgroßer Rettungsdienst in einer relativ strukturschwachen Region zieht ehrlicherweise nicht allzu viele Menschen an.

Weniger Rettungsmittel

Eine prinzipiell eher negative Entwicklung ist der Personalsituation durchaus zu Gute gekommen – es wurden schlicht und ergreifend mehrere KTWs mangels Einsatzaufkommen gestrichen. Während es vor ein paar Jahren noch Gang und Gebe war, dass KTWs „Krankenfahrten“ (Fahrten ohne Notwendigkeit besonderer medizinischer Ausstattung und Betreuung) übernommen hatten, haben mehrere private Anbieter Liegend- und Rollstuhltaxifahrten übernommen. Diese Einsätze, die gar nicht so wenige waren, sind mittlerweile komplett entfallen.

Die Planstellen sind allerdings bislang gleich geblieben, sodass man einfach weniger Fahrzeuge besetzen musste.

Ausbildungskapazitäten

Gerade mit Hinblick auf die Notfallsanitäter und das Brain-Drain haben die im Vergleich zur Anfangszeit massiv gestiegenen Ausbildungskapazitäten die Lage mittlerweile massiv entschärft.

Anstelle von einem NotSan-Kurs und zwei Auszubildenden, wie es im ersten Jahr der NFS-Ausbildung der Fall war, sind wir nun bei fünf NotSan-Kursen und zehn bis vierzehn Auszubildenden pro Jahr. Das ist selbst mit einer relativ hoch angenommenen Fluktuation bedarfsdeckend und perspektivisch sogar darüber hinaus. Mittlerweile ist auch eine zusätzliche Lehrrettungswache in Betrieb genommen worden.

Das Flaschenhalsproblem der NFS-Ausbildung ist in der Hinsicht durchaus gelöst und auch die anderen Rettungsdienst-GmbHs in unserem Bundesland profitieren davon.

Einstieg erleichtern

Das ist wohlmöglich die einzige Sache, die seitens der Führung unseres Rettungsdienstes selbst initiiert wurde: man hat die eher unübliche Einstiegsvariante „Kostenübernahme durch den Arbeitgeber“ für die Qualifikation zum Rettungssanitäter übernommen.

Es gab einen Inhouse-Lehrgang mit über zwanzig Teilnehmern – die Ausbildungskosten wurden hier von der GmbH übernommen, die frisch gebackenen Rettungssanitäter werden umgekehrt zur Ableistung von Stunden verpflichtet.

Das hat im RS-Bereich durchaus Wirkung gezeigt und die auch hier vorhandenen „Lücken“ – wenngleich sie nicht allzu groß waren – gestopft.

Ist es überall so?

Das muss man ganz klar verneinen – die umliegenden Leistungserbringer ringen zum Teil immer noch immens mit Personalnot. Es kann definitiv nicht gesagt werden, dass die Personalnot im Rettungsdienst nun ein für alle mal der Vergangenheit angehört, und schon gar nicht flächendeckend.

Insofern kann, darf und muss man Meldungen über den Fachkräftemangel im Rettungsdienst durchaus glauben schenken – wahrscheinlich trifft er auf die Mehrheit der Rettungsdienste zu, Ausnahmen bestätigen die Regel.

Umgekehrt muss man sich natürlich auch die Frage stellen: woran liegt es? Wie kann einerseits keine Personalnot bestehen, woanders ist sie allerdings so extrem, dass der Ausnahmezustand die Regel wird?

Ausblick

Auch wenn man die Lösung meines Rettungsdienstes durchaus als Lichtblick im Kontext der Personalnot sehen kann, hat das Beispiel keine Allgemeingültigkeit. Viele Rettungsdienste haben nach wie vor eine eklatante Personalnot und werden sie wahrscheinlich auch noch einige Zeit haben.

Selbst bei uns würde ich nicht unterschreiben, dass die Personalprobleme nun ein für alle mal der Vergangenheit angehören. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung und durchaus ein Erfolg; wie nachhaltig dieser ist, wird sich erst noch zeigen. Mit Blick auf das Ende der Rettungsassistenten-Ära dürfte sich zumindest Ende des Jahres die Frage nach dem ausreichenden Personal mindestens noch einmal stellen – wenn auch nicht in überwältigenden Maße.

Die Einsatzzahlen des Rettungsdienstes steigen seit Jahren und wir müssen insgesamt mit einem steigenden Bedarf an Rettungsfachpersonal rechnen.

Es gibt, wie man sehen kann, Lösungsansätze – zum einen im „gewinnen von neuen Personal“ und in „mehr ausbilden“, zum anderen im „Personal halten“.

Gerade in letzterem Punkt sind die Ansätze dann doch eher…mäßig. Ob mehr Gehalt und Stundenreduktion ausreichen? Fraglich. Ob die Akademisierung des Notfallsanitäterberufs und der „studierte Notfallsanitäter“ die Lösung sind? Ebenfalls fraglich.

Das Thema wird uns definitiv noch einige Jahre begleiten und auch die kleinen Erfolge, die zu verzeichnen sind, sind nicht in Stein gemeißelt.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Deutsches Ärzteblatt (2022): Rettungsdienst: Großer Personalmangel, Dtsch Arztebl 2022; 119(51-52): A-2279 / B-1879, abgerufen unter https://www.aerzteblatt.de/archiv/228965/Rettungsdienst-Grosser-Personalmangel am 31.07.2023

Goersch H. (2019): Fachkräftemangel im Rettungsdienst: Wie ernst ist die Situation wirklich?, abgerufen unter https://www.skverlag.de/rettungsdienst/meldung/newsartikel/fachkraeftemangel-im-rettungsdienst-wie-ernst-ist-die-situation-wirklich.html am 31.07.2023

SaniOnTheRoad (2023): Motivlagen von NotSans, den Rettungsdienst zu verlassen – das Ergebnis, abgerufen unter https://saniontheroad.com/motivlagen-von-notsans-den-rettungsdienst-zu-verlassen-das-ergebnis/ am 31.07.2023

SaniOnTheRoad (2023): Quo vadis, Rettungsdienst in Berlin?, abgerufen unter https://saniontheroad.com/quo-vadis-rettungsdienst-in-berlin/ am 31.07.2023

SaniOnTheRoad (2022): Notfallsanitäter werden – von der Bewerbung bis zur Ausbildung, abgerufen unter https://saniontheroad.com/notfallsanitaeter-werden-von-der-bewerbung-bis-zur-ausbildung/ am 31.07.2023

SaniOnTheRoad (2022): Der studierte Notfallsanitäter, abgerufen unter https://saniontheroad.com/der-studierte-notfallsanitaeter/ am 31.07.2023

SaniOnTheRoad (2020): „Brain-Drain“ Rettungsdienst?, abgerufen unter https://saniontheroad.com/brain-drain-rettungsdienst/ am 31.07.2023

SaniOnTheRoad (2020): Arbeitswelt Rettungsdienst – eine kritische Betrachtung, abgerufen unter https://saniontheroad.com/arbeitswelt-rettungsdienst-eine-kritische-betrachtung/ am 31.07.2023

SaniOnTheRoad (2020): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 22: Freiwilligendienste im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-22/ am 31.07.2023

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 8: Notfallsanitäterausbildung im Detail, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-8/ am 31.07.2023

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 4: How to get started?, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-4/ am 31.07.2023

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes – Teil 2: Ausbildungen im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-2/ am 31.07.2023

Statistisches Bundesamt (2023): Gesundheitspersonal: Deutschland, Jahre, Einrichtungen,
Geschlecht
, abgerufen unter https://www-genesis.destatis.de/genesis/online?sequenz=tabelleErgebnis&selectionname=23621-0001&zeitscheiben=10#abreadcrumb am 31.07.2023

Zollern-Alb-Kurier (2017): Der Rettungsdienst krankt an akutem Personalmangel, abgerufen unter https://www.zak.de/Nachrichten/Der-Rettungsdienst-krankt-an-akutem-Personalmangel-23484.html am 31.07.2023

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im klinischen Abschnitt des Studiums. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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