3.4 Primary und Secondary Survey

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Lernziele

Nach diesem Beitrag kennst Du

  • die Bedeutung des strukturierten Arbeitens im Rettungsdienst,
  • die Bedeutung und die Bestandteile des Primary Survey/Primary Assessment,
  • die zu untersuchenden Punkte im xABCDE-Schema, dessen Ablauf und mögliche Interventionen,
  • das Ten-for-Ten (10-4-10) als Tool im Crew Resource Management,
  • die Bedeutung und die Bestandteile des Secondary Survey/Secondary Assessment,
  • die Bestandteile einer SAMPLER(S)-Anamnese,
  • das OPQRST-Schema,
  • die Differentialdiagnostik mittels „Trichtern“.

Abstract

Klinische und apparative Diagnostik im Rettungsdienst werden im Sinne eines strukturierten Vorgehens im Rahmen eines rettungsdienstlichen Untersuchungsgangs mit festen Abläufen angewendet. Hierbei ist eine Einteilung in ein Primary Survey und ein Secondary Survey üblich.

Das Primary Survey hat zum Ziel, einen schnellen Gesamtüberblick über den Patientenzustand zu erlangen, lebensbedrohliche Probleme („Buchstabenprobleme“) zu identifizieren und zügige Interventionen zu ermöglichen – rettungsdienstlicher Standard ist hierbei das Vorgehen nach dem xABCDE-Schema.

Im Secondary Survey liegt der Fokus auf einer weiterführenden, gezielten Untersuchung, der Anamneseerhebung mittels SAMPLER(S)-Schema und der Differentialdiagnostik sowie dem Einleiten entsprechender Behandlungen.

In diesem Beitrag werden die wichtigsten Kernaspekte des rettungsdienstlichen Untersuchungsgangs vorgestellt.

Wiederholung: Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung im Rettungsdienst umfasst vor allem die unmittelbare körperliche Untersuchung des Patienten mit wenigen oder gar keinen Hilfsmitteln mit dem Fokus auf „Sehen, Hören, Fühlen“.

Sie stellt dabei die einfache und schnelle Basisdiagnostik dar, mit deren Hilfe bereits erste Verdachtsdiagnosen gestellt werden können und die Basis für eine weitere Untersuchung und Behandlung gelegt wird.

Die Methoden der klinischen Untersuchung werden gerne als IPAP(F)-Schema zusammengefasst: Inspektion, Palpation, Auskultation, Perkussion und die Funktionsüberprüfung.

Für das Verständnis dieses Beitrags ist die Kenntnis üblicher klinischer Untersuchungsmethoden Voraussetzung.

Siehe auch Kapitel 3.2

Wiederholung: Apparative Diagnostik

Die apparative Diagnostik stellt im Rettungsdienst eine Ergänzung der körperlichen Untersuchung dar, welche eine genauere Differenzierung des Patientenzustands und die möglichst exakte Messung von Vitalparametern ermöglicht.

Auch wenn der Umfang der apparativen Diagnostik schon von der Verfügbarkeit der Geräte und Hilfsmittel abhängt, ist eine grundlegende Kenntnis aller gängigen Methoden, ihres Messprinzips, die Durchführung und mögliche Fehlerquellen für den Rettungssanitäter essentiell.

Für das Verständnis dieses Beitrags ist die Kenntnis üblicher apparativer Diagnostikmethoden im Rettungsdienst Voraussetzung.

Siehe auch Kapitel 3.3


Inhaltsverzeichnis


Einleitung

Die Kenntnis der klinischen Untersuchungsmethoden und der apparativen Diagnostik sind die Basis, um Zustandsveränderungen des Patienten identifizieren und daraus Entscheidungen ableiten zu können. Dementsprechend wird die Kenntnis der entsprechenden Kapitel für diesen Beitrag vorausgesetzt.

An dieser Stelle sollen die einzelnen Untersuchungen zu einem ersten, großen Gesamtbild, welches sowohl für Prüfung als auch Praxis enorm relevant ist, zusammengeführt werden.

Unsere Leitfrage ist dementprechend: wie wenden wir die einzelnen Untersuchungen in der rettungsdienstlichen Praxis sinnvoll an?

Die Komplexität ergibt sich schon daraus, dass hier neben den Untersuchungen an sich auch eine entsprechende Struktur und das Crew Resource Management gleichermaßen Anteile haben.

Trotz der zentralen Bedeutung dieses Themas gibt es durchaus sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, wie der rettungsdienstliche Untersuchungsgang aussehen soll.

Der rettungsdienstliche Untersuchungsgang

„Was ist das überhaupt?“

Der rettungsdienstliche Untersuchungsgang ist letztendlich die strukturierte Zusammenfassung verschiedener Standarduntersuchungen.

Das Zauberwort ist hier die „Struktur“: im rettungsdienstlichen Untersuchungsgang dreht sich unheimlich viel um Struktur und entsprechende Schemata, die auch in einem weiteren Beitrag noch expliziter dargestellt werden.

Die Struktur des rettungsdienstlichen Untersuchungsgangs stellt sicher, dass jeder Patient eine ausreichende Basisuntersuchung erhält und darüber hinaus effektiv und effizient lebensbedrohliche Zustände erkannt werden. Aus genau diesen Gründen – ein schnelles Ergebnis und eine erhebliche Risikominimierung, etwas zu übersehen – ist eine strukturierte Untersuchung eines jeden Patienten ein absolutes Muss; sowohl in der Rettungsdienstschule als auch in der Praxis.

Bewährt hat sich diesbezüglich die Unterteilung in ein Primary Survey (auch Primary Assessment) und ein Secondary Survey (Secondary Assessment), welche ausgehend von „Buchstabenkursen“ wie PHTLS und AMLS eine weite Verbreitung im Rettungsdienst gefunden haben und derzeit den rettungsdienstlichen Standard des Untersuchungsgangs darstellen.

Auch wenn hier (zumindest theoretisch) keine Fragen offen bleiben sollten, gibt es hinsichtlich des Untersuchungsgangs doch zahlreiche unterschiedliche, widersprüchliche bis widersinnige Interpretationen seitens verschiedener Rettungsdienstschulen oder unterschiedliche Behandlungsalgorithmen.


Das Primary Survey

Die Basis für alles weitere ist das Primary Survey – Ziel ist es, sich möglichst schnell einen möglichst umfassenden Überblick über den Patientenzustand zu verschaffen, lebensbedrohliche Zustände sicher zu erkennen und entsprechend zu intervenieren.

Das Primary Survey wird oft mit dem xABCDE-Schema gleichgesetzt – dieses ist zwar durchaus der Kern des Primary Survey, letzteres umfasst allerdings auch noch weitere Punkte.

„Schnell“ ist im Falle des Primary Surveys wirklich schnell: ohne notwendige Interventionen soll die Dauer 120 Sekunden (2 Minuten) nicht überschreiten, teilweise werden auch noch kürzere Zeiten angestrebt.

Dies bedeutet: das Maß an möglichen Untersuchungen im Primary Survey ist beschränkt und Ablauf und sämtliche Handgriffe müssen sicher sitzen, um einen zügigen, flüssigen Ablauf am Patienten zu gewährleisten.

Das Primary Survey beginnt mit dem „First Look“ – also dem Ersteindruck des Patienten, welcher im klinischen Untersuchungsgang bereits beschrieben wurde – und führt über das xABCDE-Schema zur ersten Teambesprechung im Rahmen eines „Ten-for-Ten“.


Was gehört ins Primary Survey?

Diese vermeindlich einfache Frage ist bei näher Betrachtung gar nicht so einfach: einen allgemeinen Konsens, welche Untersuchungen ins Primary Survey gehören und welche nicht, gibt es nicht.

Einen allumfassenden Konsens wird es auch kaum geben können: dafür sind zu viele Punkte im Primary Survey vom jeweiligen Patientenzustand abhängig, sodass „typische“ Untersuchungen nach hinten verschoben oder andere Untersuchungen, die normalerweise kein Bestandteil des Primary Survey sind, in dieses „vorgezogen“. Ferner hängt hier auch viel von der verfügbaren Manpower und der Zugänglichkeit des Patienten ab.

Ebenso wenig gibt es einen Konsens, „wie ausführlich“ nun wirklich untersucht werden soll – zwischen einem wirklich sehr groben „Überblick“ bis zu recht detaillierten Untersuchungen wird nahezu alles praktiziert.

Mit der inhaltlichen Zielsetzung – der sicheren Identifikation lebensbedrohlicher Zustände und einem möglichst geringen Risiko, etwas zu übersehen – und der zeitlichen Zielsetzung von maximal 2 Minuten ohne Interventionen, kann man festhalten: Untersuchungen im Primary Survey müssen

  • zügig ausführbar sein,
  • möglichst von apparativer Diagnostik unabhängig sein,
  • ein aussagekräftiges Ergebnis liefern und
  • möglichst viele bedrohliche Zustände identifizieren können.

Relativ zeitaufwändige Untersuchungen – zum Beispiel das Kleben eines EKG oder die Blutdruckmessung – fallen hierbei heraus. Das heißt nicht, dass diese Untersuchungen nicht durchgeführt werden; sondern eben nur nicht in den ersten zwei Minuten.

Nachdem die Lehraussagen der Rettungsdienstschulen sich durchaus stark unterscheiden können: richtet euch in Zweifelsfällen nach dem, was die Lehraussage eurer Rettungsdienstschule ist. Ansonsten kann man sich für die Praxis durchaus an den folgenden Empfehlungen orientieren:

  • klinische Untersuchungen: Inspektion, Palpation und Auskultation; einfache Funktionsüberprüfungen (z.B. FAST oder pDMS)
  • apparative Untersuchungen: Pulsoxymetrie, Blutzucker- und Temperaturmessung

Eine ähnliche Problematik stellt sich bei den Interventionen dar: auch diese sollten das Problem möglichst effektiv beseitigen, allerdings auch zügig und ohne allzu großen Vorbereitungsaufwand durchführbar sein.

Dementsprechend sollten die Interventionen der ersten zwei Minuten mit Bedacht gewählt werden.

First Look

Der „First Look“ (auch First Impression oder General Impression) ist dabei der Ersteindruck des Patienten und der Situation beim Erstkontakt. Sprich: alles, was einem unmittelbar auffällt.

Auch wenn es sich hier nur um wenige Sekunden handelt, beeinflussen die an dieser Stelle getroffenen Entscheidungen oft das gesamte weitere Einsatzgeschehen. Mit dem Ersteindruck fällt man die Entscheidung, ob man einen Patienten als „kritisch“, „potentiell kritisch“ oder „unkritisch“ einschätzt, was das weitere Vorgehen im Untersuchungsgang und der Versorgung bereits grob skizziert.

Ein nicht unerheblicher Teil des „First Look“ ist – gesunder Menschenverstand. In Anbetracht aller Möglichkeiten, die einem im Einsatz- oder Prüfungsgeschehen auffallen könnten, beschränke ich mich an dieser Stelle auf die Dinge, die im Rahmen einer Prüfungssituation unbedingt gezielt abgefragt werden sollten.

In Prüfungssituationen hat sich zudem das SSS-Schema bewährt und wird oft auch gefordert_

BedeutungBeispiel
SceneEinsatzszenerie/SzenarioUm welche Einsatzstelle handelt es sich (Einfamilienhaus, Park, Autobahn…)?
Wie lautet die Einsatzmeldung?
Welche Kräfte sind mitalarmiert?
Wie ist die Kliniklandschaft?
SafetySicherheitIst die Einsatzstelle sicher? Sind Gefahren erkennbar oder werden vermutet? Eigenschutz!
SituationGenaue Situation an der EinsatzstelleAuffindesituation des Patienten? Augenscheinliche Auffälligkeiten (Sehen, hören, riechen)? Weitere Personen an der Einsatzstelle?

Situation

  • Ist die Situation sicher? Sind augenscheinliche Gefahren erkennbar?
  • Ist der Patient zugänglich? Wird weitere Unterstützung benötigt (z.B. Feuerwehr)?
  • Sind weitere Personen vor Ort, die Auskunft geben oder helfen können?

Patient

  • Reagiert der Patient bei Betreten des Raumes bzw. auf die Ansprache?
  • Sind starke Blutungen oder augenscheinliche Verletzungen erkennbar?
  • Auffällige Atemgeräusche?
  • Hautkolorit des Patienten?
  • Starke Schmerzen?

Der Fokus im First Look sollte also auf augenscheinlichen Störungen der primären Vitalfunktionen Atmung, Bewusstsein und Kreislauf (ABC-Probleme) liegen.

Zur Einschätzung des Bewusstseinsstatus bietet sich hier das WASB/AVPU-Schema an:

ZustandWASBAVPU
Wach, ansprechbar, orientiertWachAlert
Reaktion nur auf laute AnspracheAnsprechbarVoice
Reaktion nur auf SchmerzreizSchmerzreizPain
Keine Reaktion auf SchmerzreizBewusstlosUnconcious

Ist der Patient nicht bewusstlos, wird die Ersteinschätzung kommuniziert und in das xABCDE-Schema übergegangen. Im Falle eines bewusstlosen Patienten befindet man sich hingegen im Algorithmus „Auffinden einer leblosen Person“ (BLS-Algorithmus) – also ansprechen, anfassen, Atemkontrolle; im Falle eines Kreislaufstillstands unmittelbarer Beginn der Reanimation, falls kein Kreislaufstillstand vorliegt erfolgt der Übergang in das xABCDE-Schema.


Das xABCDE-Schema und seine Punkte

Nach langer Vorrede kommen wir endlich zum Kern des Beitrags: dem xABCDE-Schema und was es enthalten sollte. Teilweise findet sich (auch in aktuellerer Literatur) noch die Bezeichnung cABCDE-Schema, welche vollkommen synonym zu verwenden ist.

Das xABCDE-Schema nimmt zugleich eine Priorisierung möglicher Probleme und pathologischer Zustände vor – die Reihenfolge der Untersuchung richtet sich danach, was wie schnell in der Lage ist, einen Patienten zu töten.

Ich habe mich hier für ein eher ausführliches xABCDE entschieden, welches dementsprechend eher viele Untersuchungsschritte (und Dinge, die nebenbei beachtet werden können) enthält. Die Variante reizt die zur Verfügung stehende Zeit durchaus aus und benötigt entsprechende Übung.

x – Exsanguination

Das „x“ oder das „kleine c“ steht für Exsanguination („Ausbluten“) respektive für Critical/Catastrophic Bleeding/Hemorrhage (kritische bzw. kastastrophale Blutung) und deren Kontrolle.

Hierbei wird sich ausschließlich auf kritische Blutungen nach außen bezogen, welche potentiell lebensbedrohlich und augenscheinlich erkennbar sind – innere Blutungen und deren Untersuchung erfolgt hingegen im „großen C“ im xABCDE-Schema.

Eine besondere Untersuchungstechnik ist hier im Regelfall nicht erforderlich und die Untersuchung lässt sich oft mit einer Inspektion im First Look abhaken.

„Kritische Blutungen nach außen sind starke Blutungen, die einem sofort ins Auge fallen.“

Typische Interventionsmaßnahmen wären die manuelle Kompression, die Anlage eines Druckverbands, die Anlage eines Tourniquets oder der Einsatz von lokalen Hämostyptika (Verbandstoffe, welche die Blutgerinnung fördern).


A – Airway

Zweiter Punkt des Untersuchungsgangs ist die Kontrolle und ggf. das Freimachen der Atemwege.

Auch in der Literatur wird dieser Punkt gerne mit der Faustregel

„Ein Patient, der frei in ganzen Sätzen sprechen kann, hat kein A-Problem“

abgehakt. Beschränkt man sich rein auf die Atemwege, trifft diese Einschätzung auch in der Regel zu – es können einem allerdings durchaus andere, interessante Punkte entgehen.

Aus diesem Grund halte ich eine Mundrauminspektion mittels Diagnostikleuchte auch bei dem in ganzen Sätzen sprechenden Patienten obligat.

Bei der Mundrauminspektion können nicht nur drohende A-Probleme (Fremdkörper, Blutungen, Schwellungen im Mund-Rachen-Raum) erkannt werden, sondern auch zahlreiche weitere Punkte. So ist eine Zyanose als erstes an den Mundschleimhäuten und den Lippen erkennbar (Hinweise auf A- und/oder B-Problem), der Schleimhautstatus (Hinweise auf eine Exsikkose, Hinweis auf eine Hypoperfusion als C-Problem) oder auch ein Zungenbiss als Hinweis auf einen stattgefundenen Krampfanfall (Hinweis auf D-Problem).

Typische Interventionen sind hier das manuelle Ausräumen des Mundes, das Absaugen mittels Absaugpumpe, die stabile Seitenlage oder auch das Freihalten der Atemwege mittels modifizierten Esmarch-Handgriff, Guedel- oder Wendl-Tubus.

Eine Intervention, die zwar nichts mit dem Atemwegen zu tun hat, aufgrund ihrer Priorität allerdings hier durchgeführt wird, wäre die manuelle Inline-Stabilisierung der Halswirbelsäule bei Verdacht einer HWS-Verletzung.


B – Breathing

Nach dem Atemwegen an sich wird dem Atmungssystem noch ein weiterer Punkt im Schema zugeteilt: die Belüftung der Lungen und damit die Oxygenierung des Körpers. Oder anders: alles, was über die Verlegung oder Bedrohung der Atemwege hinausgeht.

Absolut obligat ist im Primary Survey das Auszählen der Atemfrequenz – und zwar wirklich auszählen, nicht schätzen! Bei regelmäßiger Atmung werden über einen Zeitraum für 15 Sekunden die Thoraxbewegungen gezählt; bei unregelmäßiger Atmung sollte der Zeitraum bis zu einer Minute verlängert werden. Der Patient darf dabei selbstverständlich nicht reden und es sollten währenddessen keine ablenkenden Maßnahmen stattfinden. Die Atemfrequenz ist zwar ein unspezifischer, aber sehr sensibler Parameter und Veränderungen können mitunter das früheste Anzeichen für pathologische Veränderungen sein (z.B. einen Schock).

Dabei sollte insbesondere auf mögliche pathologische Atemmuster geachtet werden, aber auch auf das seitengleiche Heben und Senken des Thorax. Die Inspektion und Palpation des Thorax (anterior-posterior und lateral) sowie die 4-Punkt-Auskultation vervollständigen die körperliche B-Untersuchung.

Ein Blick auf die Halsvenen und eine mögliche obere Einflussstauung bietet sich zudem an.

Als apparative Diagnostik sollte bei „B“ auch unbedingt die Pulsoxymetrie verwendet werden – zum einen, um die Sauerstoffsättigung bestimmen zu können, zum anderen, um einen ersten Wert für die peripheren Pulse erhalten zu können.

Typischste Interventionen bei B-Problemen im Primary Survey sind die Lagerung des Patienten (Oberkörperhochlagerung, ggf. Kutschersitz, ggf. Herzbettlage), Atemanweisungen sowie die Sauerstoffgabe. Bei schwerwiegenden Problemen können auch eine Medikamentengabe, assistierte oder kontrollierte Beatmung oder eine Entlastungspunktion als entsprechende Interventionen erfolgen.


C – Circulation

Nachdem Atemwege und Atmung abgehakt sind, geht es über zur Beurteilung der Kreislaufsituation des Patienten.

Hierbei ergeben sich einige Untersuchungspunkte bereits aus dem First Look (z.B. Hautkolorit) oder aus vorherigen Untersuchungspunkten (z.B. Blässe der Schleimhäute, Thorax als großer Blutungsraum). Der Hautstatus bietet sich als erster Punkt hierbei an – da er einfach geprüft werden kann und einen ersten Gesamteindruck vermittelt. Geachtet wird hierbei neben dem Hautkolorit auch auf die Temperatur, die Hautfeuchte oder stehende Hautfalten als Zeichen einer Exsikkose.

Die Rekapillarisierungszeit ist hierbei ebenfalls obligat zu bestimmen, entweder mittels Nagelbettprobe oder am Handballen und liefert eine gute Einschätzung der Perfusion des Körpers.

Ebenfalls obligat sind beidseits die Radialispulse zu tasten, die Frequenz und die Pulsqualität zu bestimmen. Sind periphere Pulse nicht tastbar, muss eine zusätzliche Kontrolle der zentralen Pulse (Carotis- und/oder Femoralispuls) erfolgen.

Ferner erfolgt hier auch eine Untersuchung der großen Blutungsräume Abdomen, Becken und Oberschenkel. Sofern eine Auskultation des Abdomens angedacht oder erforderlich ist, muss diese vor der Palpation erfolgen.

Apparative Diagnostik wie ein EKG oder eine Blutdruckmessung finden üblicherweise nicht im Primary Survey statt; ausgenommen, es stehen genügend Helfer zur Verfügung.

Interventionen bei C-Problemen sind auch hier die angepasste Lagerung des Patienten (Flachlagerung oder Schocklage), das Festlegen einer Transportpriorität, die Anlage einer Beckenschlinge bei Verdacht auf Einblutungen in das Becken oder die Anlage eines i.v.-Zugangs mit angepasster Volumentherapie.

D – Disability

Das Bewusstsein als dritte primäre Vitalfunktion sowie etwaige neurologische Defizite werden im xABCDE-Schema unter „D“ geprüft.

Hierunter fallen eine Einschätzung der Bewusstseinslage mittels Glasgow Coma Scale (GCS), die Prüfung der Orientierung (Zeit, Ort, Person, Situation, „ZOPS“), die Pupillenkontrolle, mindestens ein quick-FAST (und FAST/BE-FAST bei Auffälligkeiten), die pDMS-Kontrolle sowie eine Blutzuckermessung.

Einteilung der GCS

PunkteAugen öffnenVerbale KommunikationMotorische Reaktion
6– entfällt – – entfällt – befolgt Aufforderungen
5– entfällt – konversationsfähig, orientiertgezielte Schmerzabwehr
4Spontankonversationsfähig, desorientiertungezielte Schmerzabwehr
3Auf Aufforderungunzusammen-hängende Worte („Wortsalat“)Beugesynergismen bei Schmerzreiz
2Auf Schmerzreizunverständliche LauteStrecksynergismen bei Schmerzreiz
1Keine ReaktionKeine verbale Reaktionkeine Reaktion auf Schmerzreiz

Die Punkte der drei Kategorien werden addiert und ergeben den entsprechenden Score – von 15 (Normalbefund) bis 3 (tief bewusstlos). Grundlage für die Punktvergabe ist die beste Reaktion des Patienten.

Prüfung der Orientierung

Die Orientierung kann mittels recht einfacher Fragen überprüft werden:

  • Wissen Sie, welches Datum/welchen Wochentag/Monat/Jahr wir haben?
  • Wie heißen Sie?
  • Wissen Sie, wo wird im Moment sind?
  • Wissen Sie, was passiert ist?

Je nach Antwort kann der Patient zu der jeweiligen Qualität vollständig, teilweise oder nicht orientiert sein.

Die Interventionsmöglichkeiten auf rettungsdienstlicher Seite bei D-Problemen sind tendenziell begrenzt: oft bleibt hier neben der Festlegung einer Transportpriorität (z.B. bei Schlaganfall-Verdacht) lediglich die Glucosegabe bei Hypoglykämie als mögliche Intervention.

E – Exposure/Environment

Abschluss des xABCDE bildet eine zügige Ganzkörperinspektion und ggf. der Schutz vor Umwelteinflüssen.

Die Entkleidung des Patienten ist obligat, sollte allerdings situativ angemessen sein und möglichst in einem geschützten Rahmen stattfinden („so viel wie nötig, so wenig wie möglich“). Es ist ferner ein besonderer Fokus auf bislang unerkannte Verletzungen zu legen (v.a. Schädel und Wirbelsäule), bislang unversorgte Wunden sind zu versorgen und für einen angemessenen Wärmeerhalt (bzw. ein angemessenes Temperaturmanagement) zu sorgen.

Die Messung der Körpertemperatur muss zwingend erfolgen! Spätestens an dieser Stelle sollte auch der Schmerzstatus des Patienten erhoben werden; ggf. kann auch an dieser Stelle das Monitoring komplettiert werden.

Interventionen – neben dem Wärmeerhalt – sind hier die angepasste Lagerung oder die Immobilisation möglich.

Das xABCDE im Gesamtüberblick

Und an dieser Stelle das xABCDE nochmal im Gesamtüberblick:

UntersuchungsgängeMögliche Therapien
Exsanguination – kritische Blutung nach außenAuf den ersten Blick erkennbare starke Blutungen nach außen?Sofortige Blutungsstillung
Airway – AtemwegeAtemwege frei?
Schleimhautstatus?
Zyanose?

Zungenbiss?
Abweichen der Zunge zur Seite beim Herausstrecken?
Atemwegssicherung
Sauerstoffgabe
bei Trauma: ggf. HWS-Immobilisation
Breathing – BelüftungHalsvenenstauung?
Atemfrequenz?
Sauerstoffsättigung?
Auskultation
Thoraxstabilität
Atemexkursionen
Lagerung
Sauerstoffgabe
Assistierte Beatmung
Kontrollierte Beatmung
Medikamentöse Therapie
Nadeldekompression
Circulation – KreislaufHautstatus? Hautkolorit?
Rekapillarisierungszeit?
Periphere Pulse?

Große Blutungsräume?
EKG (kein Standard)
Blutdruck (kein Standard)
Lagerung
Venöser Zugang & Infusionstherapie
Medikamentöse Therapie
ggf. Festlegung Transportpriorität
Beckenschlinge

Wundversorgung
Disability – neurologischer StatusGlasgow Coma Scale?
Orientierung?
Pupillenkontrolle

Blutzuckerkontrolle
periphere DMS?
quick-FAST?

BE-FAST?
Lagerung
Festlegung Transportpriorität
Medikamentöse Therapie
Exposure/Environment – TraumauntersuchungEntkleiden
Suche nach weiteren Verletzungen (z.B. mittels „Log-Roll“)

Temperaturmessung
SIRS & qSOFA?
Lagerung
Immobilisation
Wundversorgung
Wärmeerhalt

Praxisbeispiel 1: Gesunder Patient

xABCDE

x – Exsanguination

Keine starke äußere Blutung.

A – Airway

Atemwege frei, Mundschleimhäute feucht, rosig, keine Zyanose. Kein Zungenbiss.

B – Breathing

Atemfrequenz 12/min, keine obere Einflussstauung, Thorax stabil, Atemexkursionen regelrecht, Pulmo bds. VAG, SpO2 97 % unter Raumluft. Keine Dyspnoe.

C – Circulation

Haut rosig, warm, trocken, keine stehenden Hautfalten; Rekapillarisierungszeit < 2 Sekunden, periphere Pulse bds. gut tastbar, HF 60/min; Abdomen weich, nicht druckdolent. Blutungsräume unauffällig. RR 120/80 mmHg. EKG: Sinusrhythmus, ohne Ischämiezeichen.

D – Disability

GCS 15, 4-fach orientiert, Pupillen isokor, mittelgroß, prompte LR. quick-FAST unauffällig, pDMS intakt. BZ 90 mg/dl.

E – Exposure/Environment

Schädel stabil, Wirbelsäule nicht druck-/klopfschmerzhaft, Bodycheck unauffällig, kein vorausgegangenes Trauma. SIRS & qSOFA negativ. Temp. 36,5°C.

Praxisbeispiel 2: Auffällige Befunde

xABCDE

x – Exsanguination

Keine starke äußere Blutung.

A – Airway

Atemwege frei, Mundschleimhäute feucht, rosig, keine Zyanose. Kein Zungenbiss.

B – Breathing

Atemfrequenz 16/min, keine obere Einflussstauung, Thorax stabil, Atemexkursionen regelrecht, Pulmo bds. vesikuläres AG, SpO2 97 %. Kein pathologisches Atemmuster. Keine Dyspnoe.

C – Circulation

Haut rosig, warm, trocken, keine stehenden Hautfalten; Rekapillarisierungszeit < 2 Sekunden, periphere Pulse bds. gut tastbar, HF 120/min; Abdomen weich, nicht druckdolent. Blutungsräume unauffällig. RR 160/90 mmHg. EKG: Sinustachykardie, ohne Ischämiezeichen

D – Disability

GCS 15, 4-fach orientiert, Pupillen isokor, mittelgroß, prompte LR. quick-FAST unauffällig, pDMS intakt. BZ 159 mg/dl.

E – Exposure/Environment

Linksthorakale, stechende Schmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm, NRS 4, mäßig durch Druck verstärkbar, keine Änderung im zeitlichen Verlauf. Keine Beinödeme. Schädel stabil, Wirbelsäule nicht druck-/klopfschmerzhaft, kein vorausgeganes Trauma. Temp. 36,6°C.

Das Ten-for-Ten (10-4-10)

Nach dem Abschluss des xABCDE sollte eine Teambesprechung stattfinden – dies wird aufgrund der Zielsetzung „innerhalb von zehn Sekunden für die nächsten zehn Minuten“ kurz Ten-for-Ten genannt und ist ein übliches CRM-Tool.

Das Ten-for-Ten kann jederzeit sowohl vom Teamführer einberufen als auch von allen Teammitgliedern eingefordert werden. Sinn und Zweck ist es, alle Beteiligten innerhalb kürzester Zeit auf einen Stand bringen, Verdachts- und Differentialdiagnosen zu besprechen und das weitere Vorgehen zu planen.

Inhalt des 10-4-10 sollte sein:

  • die konkreten Buchstabenprobleme (ABCDE) des Patienten,
  • ggf. Verdachtsdiagnose/Differentialdiagnosen
  • Plan für die nächsten zehn Minuten (!)
  • Aufgabenverteilung (!)

Das Secondary Survey

Nach Abschluss des Primary Survey sollten Buchstabenprobleme des Patienten erkannt und durch entsprechende Interventionen (an)behandelt sein. Das Secondary Survey (Secondary Assessment) hat im Gegensatz zum Primary Survey den Zweck, Probleme gezielt und – wenn möglich – abschließend zu behandeln.

Es handelt sich hierbei also um eine fokussiertere Untersuchung und Behandlung des Patienten.

Obligatorische Bestandteile des Secondary Survey sind:

  • das Erheben einer Notfallanamnese (SAMPLER(S)), ggf. auch weiterer Anamnesen
  • das Komplettieren des Monitorings (mindestens Standardmonitoring, weiteres nach Bedarf)
  • das Erstellen einer Verdachts- und möglicher Differentialdiagnosen
  • weitergehende, fokussierte Untersuchungen und Behandlung.

Differentialdiagnostik & „Trichtern“

Ein maßgeblicher Punkt des Secondary Survey ist die Frage nach dem

„Was hat unser Patient jetzt genau?“

Ein Fluch der Notfallmedizin ist: viele, durchaus sehr verschiedene Krankheitsbilder haben sehr ähnliche Leitsymptome, unterscheiden sich im Vorgehen aber durchaus erheblich – die Festlegung der Verdachtsdiagnose und der Behandlungsstrategie hat also eine erhebliche therapeutische Konsequenz.

In diesem Zusammenhang hat sich das „Trichtern“, wie es beispielsweise auch in AMLS-Kursen gelehrt wird, bewährt:

  1. Sammeln aller möglichen Differentialdiagnosen zu dem Leitsymptom – es wird an dieser Stelle alles gesammelt, was die Symptomatik des Patienten erklären könnte
  2. Sammeln fehlender Informationen durch Anamnese, klinische Untersuchungen oder apparative Diagnostik
  3. Ausschlussverfahren – die möglichen Differentialdiagnosen werden systematisch ausgeschlossen, übrig bleibt die Verdachtsdiagnose

Man sollte wirklich systematisch ausschließen – durch die übliche Bestätigungsneigung würde man zu keinem zielführenden Ergebnis kommen, wenn man danach schaut, was „passen“ könnte.

SAMPLER(S)-Anamnese & OPQRST-Schema

Absoluter Standard im Secondary Survey ist die Notfallanamnese nach SAMPLER(S) – diese deckt, kurz und bündig, alle relevanten Punkte in einer Notfallsituation ab.

Je nach Einsatzsituation können durchaus einige Punkte auch ins Primary Survey vorgezogen werden – in diesem Fall wird die Anamnese im Secondary Survey vervollständigt.

Ablauf einer SAMPLER(S)-Anamnese

BedeutungBeispiele
SSymptomeBeschwerden, die zum Ruf des Rettungsdienstes geführt haben, z.B. Schmerzen, Atemnot…
> OPQRST-Schema
AAllergienBekannte Allergien und Unverträglichkeiten des Patienten
MMedikamenteAktuelle Dauer- und Bedarfsmedikation des Patienten (CAVE: regelmäßige Einnahme?)
Aktuell eingenommene andere Medikamente?
PPatientengeschichteVorerkrankungen des Patienten; insbesondere auch chronische Erkrankungen
LLetzte(r)…Wann letzte orale Aufnahme? Wann letzter Stuhlgang?
Wann letztes Mal Harnausscheidung?
EEreignis vor SymptombeginnMögliche Auslöser für die Beschwerden? Erkennbarer Trigger? Spontanes Auftreten?
RRisikofaktorenFaktoren, die Erkrankungen begünstigen (z.B. Alkohol-/Nikotinabusus, Adipositas, arterielle Hypertonie…)
SSchwangerschaftIst eine Schwangerschaft möglich oder sicher ausgeschlossen?

OPQRST-Schema

OPQRST ist ein spezifisches Schema zur Symptombeschreibung und wird oft mit der Symptomanamnese des SAMPLER(S) verknüpft.

Wie man aus der Bedeutung der Buchstaben (siehe unten) herauslesen kann: das Schema wurde ursprünglich für Schmerzzustände entwickelt. Die lassen sich auch hervorragend damit beschreiben – bei sämtlichen anderen Beschwerden ist das Schema aber nur begrenzt anwendbar.

BedeutungBeispiel
OnsetSymptombeginnWann sind die Beschwerden erstmalig aufgetreten?
Palliation/ProvocationVerstärkung/Linderung der Symptome Wodurch lassen sich die Beschwerden verstärken oder lindern? Gibt es einen Einfluss darauf?
QualitySchmerzqualitätStechende, brennende, drückende oder ziehende Schmerzen?
RadiationAusstrahlungStrahlen die Schmerzen in andere Körperregionen aus?
SeveritySchmerzstärkeSchmerzstärke, mittels visueller Analogskala (VAS) oder numerischer Rating-Skala (NRS) ermittelt
TimeZeitlicher VerlaufWie haben sich die Beschwerden seit Symptombeginn verändert?

Die fettgedruckten Anteile sind diejenigen, die auch außerhalb einer Schmerzanamnese abgefragt werden sollten.

Vervollständigen der Untersuchung

Man könnte diesen Punkt des Secondary Survey auch zusammenfassen als

„Alles machen, was bis jetzt noch nicht gemacht wurde“

Im Secondary Survey sollte die noch ausstehende Diagnostik und ausstehende Interventionen nun nachgeholt werden.

Dazu gehören insbesondere die Punkte, die im Primary Survey üblicherweise nicht durchgeführt werden – zum Beispiel die Blutdruckmessung, ein 6- oder 12-Kanal-EKG oder weitergehende körperliche Untersuchungen.

Reevaluation

Ein Punkt, der gerne vergessen wird, aber von enormer Bedeutung ist die regelmäßige Reevaluation, welche ebenfalls nach xABCDE erfolgt. Dies ist notwendig, um Veränderungen des Patientenzustands sicher feststellen zu können – sei es in Form einer Verschlechterung oder Verbesserung – und um den eigenen Behandlungserfolg zu überprüfen.

Im Gegensatz zum Primary Survey ist es durchaus legitim, wenn das xABCDE hier etwas vereinfacht wird – die wesentlichen Punkte müssen trotz allem regelmäßig überprüft werden.

Eine Reevaluation nach xABCDE bietet sich insbesondere an:

  • nach durchgeführten Interventionen,
  • bei Zustandsveränderungen des Patienten,
  • vor der Abfahrt,
  • vor der Übergabe und
  • in regelmäßigen Zeitabständen während des Transports.

Zusammenfassung

  • die strukturierte Patientenuntersuchung ist ein „Muss“ in Schule und Praxis – diese ist eine Bewertungsgrundlage von Prüfungen
  • der rettungsdienstliche Untersuchungsgang wird üblicherweise in ein Primary und ein Secondary Survey eingeteilt
  • Es gibt durchaus unterschiedliche Interpretationen über Bestandteile des Untersuchungsgangs, der Reihenfolge der Untersuchungen und das Maß der Interventionen.
  • Primary Survey: First Look + xABCDE mit notwendigen Interventionen + 10-4-10
  • Zeitansatz für das Primary Survey: max. 120 Sekunden (2 Minuten), notwendige Interventionen ausgenommen
  • Der Ablauf des Primary Survey erfordert einen vergleichsweise großen Übungsbedarf, um keine Punkte zu vergessen und um ausreichend schnell zu sein!
  • „Intervenieren heißt nicht austherapieren“ – wird im Primary Survey ein Problem festgestellt, muss natürlich etwas dagegen getan werden. Das heißt allerdings nicht, dass die Intervention die finale Lösung sein muss.
  • kein einheitlicher Konsens über durchzuführende Untersuchungen und Interventionen im Primary Survey
  • Klinische Basisuntersuchungen: Inspektion, Palpation und Auskultation; einfache Funktionsüberprüfungen (z.B. FAST oder pDMS)
  • apparative Diagnostik im Primary Survey: Pulsoxymetrie, Blutzucker- und Temperaturmessung
  • „First Look“ muss kommuniziert werden – typische Auffälligkeiten (ABC-Probleme) müssen gezielt abgefragt werden!
  • Das Ergebnis des First Look – die Ersteinschätzung – legt das weitere Vorgehen fest
  • In Prüfungssituationen: Scene – Safety – Situation (- Support)
  • Ersteinschätzung des Bewusstseinsstatus: WASB (Wach – Reaktion auf Ansprache – Reaktion auf Schmerzreiz – Bewusstlos)
  • Bei festgestellter vitaler Bedrohung im First Look kann bereits eine Notarztnachforderung erfolgen
  • Bei bewusstlosen Patienten im First Look: Einstieg in den BLS-Algorithmus – Ansprechen, Anfassen, Atemkontrolle, ggf. Reanimation beginnen – erst wenn der Kreislaufstillstand ausgeschlossen ist Übergang in das xABCDE-Schema
  • x: kritische Blutungen nach außen (augenscheinlich) – Intervention mittels manuelle Kompression, die Anlage eines Druckverbands, die Anlage eines Tourniquets oder der Einsatz von lokalen Hämostyptika
  • A: Untersuchung und Freimachen der Atemwege, manuelle HWS-Stabilisierung – Interventionen: Ausräumen des Mundes, das Absaugen mittels Absaugpumpe, die stabile Seitenlage oder auch das Freihalten der Atemwege mittels modifizierten Esmarch-Handgriff, Guedel- oder Wendl-Tubus.#
  • B: Untersuchung der Lungenbelüftung und Oxygenierung, obere Einflusstauung, Atemfrequenz, Atemmuster, Pulsoxymetrie – Interventionen: Lagerung des Patienten (Oberkörperhochlagerung, ggf. Kutschersitz, ggf. Herzbettlage), Atemanweisungen sowie die Sauerstoffgabe.
  • C: Untersuchung der Kreislauffunktion, Hautstatus, Hautkolorit, Rekapillarisierungszeit, periphere und ggf. zentrale Pulse, große Blutungsräume – Interventionen: Lagerung des Patienten (Flachlagerung oder Schocklage), das Festlegen einer Transportpriorität, die Anlage einer Beckenschlinge bei Verdacht auf Einblutungen in das Becken oder die Anlage eines i.v.-Zugangs mit angepasster Volumentherapie.
  • D: Untersuchung des neurologischen Status, GCS, quick-FAST/BE-FAST, Blutzuckermessung, pDMS – Interventionen: Festlegung einer Transportpriorität (z.B. bei Schlaganfall-Verdacht), Glucosegabe bei Hypoglykämie
  • Glasgow Coma Scale mit ihrer Punktverteilung muss beherrscht werden!
  • E: Ganzkörperinspektion & Schutz vor Umwelteinflüssen, situativ angemessene Entkleidung des Patienten, schnelle Trauma-Untersuchung, Temperaturmessung, Schmerzstatus – Interventionen: obligat Wärmeerhalt, Lagerung, ggf. Immobilisation.
  • das xABCDE-Schema muss vollumfänglich bekannt sein, beherrscht werden und zügig sowie vollständig durchgeführt werden können! Üben!
  • Bei durchgeführten Interventionen ist eine Reevaluation des Punktes (Erfolgskontrolle) notwendig
  • Inhalt des 10-4-10: konkrete Buchstabenprobleme (ABCDE) des Patienten, ggf. Verdachtsdiagnose/Differentialdiagnosen, Plan für die nächsten zehn Minuten (!), Aufgabenverteilung (!)
  • Im 10-4-10 gilt: Fokus auf das Wesentliche! Man sollte sich auf die Probleme beschränken, die der Patient hat – nicht lang und breit erzählen, was er nicht hat. Ebenso muss das 10-4-10 einen Plan für das weitere Vorgehen enthalten und anstehende Aufgaben müssen verteilt werden.
  • Bestandteile des Secondary Survey: das Erheben einer Notfallanamnese (SAMPLER(S)), ggf. auch weiterer Anamnesen, das Komplettieren des Monitorings (mindestens Standardmonitoring, weiteres nach Bedarf), das Erstellen einer Verdachts- und möglicher Differentialdiagnosen, weitergehende, fokussierte Untersuchungen und Behandlung.
  • „Trichtern“: (1) Sammeln aller möglichen Differentialdiagnosen zu dem Leitsymptom, (2) Sammeln fehlender Informationen durch Anamnese, klinische Untersuchungen oder apparative Diagnostik, (3) Ausschlussverfahren – die möglichen Differentialdiagnosen werden systematisch ausgeschlossen, übrig bleibt die Verdachtsdiagnose
  • SAMPLER(S): Symptome – Allergien – Medikation – Patientenvorgeschichte – Letzte(r/s)… – Ereignis – Risikofaktoren – Schwangerschaft
  • OPQRST: Onset – Palliation/Provocation – Quality – Radiation – Severity – Time
  • SAMPLER(S) und OPQRST sind obligate Bestandteile des Secondary Survey und müssen auswendig beherrtscht werden!
  • Reevaluation erfolgt ebenfalls nach xABCDE!
  • Reevaluation nach durchgeführten Interventionen, bei Zustandsveränderungen des Patienten, vor der Abfahrt, vor der Übergabe und in regelmäßigen Zeitabständen während des Transports.

Lernziele

Du kennst nun

  • die Bedeutung des strukturierten Arbeitens im Rettungsdienst,
  • die Bedeutung und die Bestandteile des Primary Survey/Primary Assessment,
  • die zu untersuchenden Punkte im xABCDE-Schema, dessen Ablauf und mögliche Interventionen,
  • das Ten-for-Ten (10-4-10) als Tool im Crew Resource Management,
  • die Bedeutung und die Bestandteile des Secondary Survey/Secondary Assessment,
  • die Bestandteile einer SAMPLER(S)-Anamnese,
  • das OPQRST-Schema,
  • die Differentialdiagnostik mittels „Trichtern“.

Interessenkonflikte

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Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

ÄLRD Rheinland-Pfalz (2023): Ausbildungs- und Behandlungsalgorithmen Notfallsanitäter, Stand 30.09.2023, abgerufen unter https://www.aelrd-rlp.de/index.php/download/ausbildungsalgorithmen-notsan-rheinland-pfalz/# am 15.10.2024

Böhmer R., Schneider T., Wolcke B. (2020): Taschenatlas Rettungsdienst, 11. Auflage. Böhmer & Mundloch Verlag, Mainz. ISBN 978-3-948320-00-3. Hier erhältlich: https://amzn.to/4aQsX9p Affiliate-Link

Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (2024): Musteralgorithmen 2024 zur Umsetzung des Pyramidenprozesses im Rahmen des NotSanG, Version 9.1, abgerufen unter https://www.dbrd.de/images/algorithmen/DBRDAlgo24_Web_3.pdf am 15.10.2024

Drache D. et al (2024): retten – Rettungssanitäter, 2. überarbeitete Auflage. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart. ISBN 978-3-13-243467-7. DOI: 10.1055/b000 000 098. Hier erhältlich: https://amzn.to/4dN9qYN Affiliate-Link

Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake F. (2020): Notfallsanitäter Heute, 7. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3437462115. Hier erhältlich: https://amzn.to/3s8KEh5 Affiliate-Link

SaniOnTheRoad (2024): 3.3 Apparative Diagnostik, abgerufen unter https://saniontheroad.com/3-3-apparative-diagnostik/ am 15.10.2024

SaniOnTheRoad (2024): 3.2 Klinische Untersuchungsmethoden, abgerufen unter https://saniontheroad.com/3-2-klinische-untersuchungsmethoden/ am 15.10.2024

SaniOnTheRoad (2022): A & B – Atemwegs- und Atmungsmanagement, abgerufen unter https://saniontheroad.com/a-b-atemwegs-und-atmungsmanagement/ am 15.10.2024

SaniOnTheRoad (2022): x – Management lebensbedrohlicher Blutungen, abgerufen unter https://saniontheroad.com/x-management-lebensbedrohlicher-blutungen/ am 15.10.2024

SaniOnTheRoad (2022): CRM im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/crm-im-rettungsdienst/ am 15.10.2024

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 12: Strukturiertes Arbeiten und Schemata im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-12/ am 15.10.2024

Thieme (2023): retten – Notfallsanitäter, 1. Auflage. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart. ISBN 978-3-13-242121-9. DOI 10.1055/b-006-163295. Hier erhältlich: https://amzn.to/4eVITJO Affiliate-Link

Ziegenfuß T. (2022): Notfallmedizin, 8. Auflage. Springer-Verlag Berlin/Heidelberg. ISBN 978-3-662-46891-3. DOI 10.1007/978-3-662-46892-0. Hier erhältlich: https://amzn.to/3uNocxX Affiliate-Link

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Über SaniOnTheRoad

3.4 Primary und Secondary Survey

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im klinischen Abschnitt des Studiums. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


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